Der Untergang des Abendlandes
heiliger Begeisterung in den Weg getreten, Staat und Kirche sind nie zu einem Ausgleich gekommen, und dieser Gegensatz hat sich in dem Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum zu einer Höhe gesteigert, die nur dem faustischen Menschen möglich war.
Und zwar ist der Adel
der eigentliche Stand
, der Inbegriff von Blut und Rasse, ein Daseinsstrom in denkbar vollendeter Form. Adel ist eben damit höheres Bauerntum. Noch um 1250 galt weithin im Abendlande der Spruch: »Wer morgens ackert, reitet nachmittags zum Turnier«, und die Sitte, daß Ritter Bauerntöchter freiten. Die Burg ist im Gegensatz zum Dom auf dem Wege über den ländlichen Edelsitz etwa der Frankenzeit aus dem Bauernhause herangewachsen. In den isländischen Sagas werden Bauernhöfe wie Burgen belagert und erstürmt. Adel und Bauerntum sind ganz pflanzenhaft und triebhaft, tief im Stammlande wurzelnd, im Stammbaum sich fortpflanzend, züchtend und gezüchtet. Im Vergleich dazu ist das Priestertum der eigentliche
Gegen-Stand
, der Stand des Verneinens, die Nichtrasse, die Unabhängigkeit vom Boden, das freie, zeitlose, geschichtslose Wachsein. In jedem Bauerndorf von der Steinzeit bis zu den Höhepunkten der Kultur, in jedem Bauerngeschlecht spielt sich Weltgeschichte im Kleinen ab. Es sind statt der Völker Familien, statt der Länder Höfe, aber die letzte Bedeutung dessen, um das hier wie dort gekämpft wird, ist dieselbe: die Erhaltung des Blutes, die Geschlechterfolge, das Kosmische, das Weib, die Macht. Macbeth und König Lear hätten auch als Dorftragödien erdacht werden können; das ist ein Beweis von echter Tragik. In allen Kulturen erscheinen Adel und Bauerntum in der Form von
Geschlechtern
, und das Wort dafür berührt sich in allen Sprachen mit der Bezeichnung der beiden Geschlechter, durch die das Leben sich fortpflanzt, Geschichte hat und Geschichte macht. Und da das Weib Geschichte
ist
, so bestimmt sich der innere Rang von Bauern- und Adelsgeschlechtern danach, wieviel Rasse ihre Frauen haben, bis zu welchem Grade sie Schicksal
sind
. Deshalb liegt ein tiefer Sinn in der Tatsache, daß Weltgeschichte, je echter und rassehafter sie ist, um so mehr den Strom des öffentlichen Lebens in das Privatleben großer Einzelgeschlechter hinüberleitet und ihm einordnet. Eben darauf beruht das dynastische Prinzip, aber auch der Begriff der welthistorischen Persönlichkeit. Die Schicksale ganzer Staaten werden von dem zu ungeheuren Dimensionen gesteigerten Privatschicksal Weniger abhängig. Die Geschichte Athens im 5. Jahrhundert ist zum großen Teil die der Alkmäoniden, die Geschichte Roms die von einigen Geschlechtern von der Art der Fabier und Claudier. Die Staatengeschichte des Barock ist im Umriß identisch mit den Wirkungen der habsburgischen und bourbonischen Familienpolitik, und ihre Krisen haben die Form von Heiraten und Erbfolgekriegen. Die Geschichte von Napoleons zweiter Ehe umfaßt auch den Brand von Moskau und die Schlacht bei Leipzig. Die Geschichte des Papsttums ist bis ins 18. Jahrhundert hinein die Geschichte einiger Adelsgeschlechter, welche die Tiara erstrebten, um einen fürstlichen Familienbesitz zu gründen. Aber das gilt auch von byzantinischen Würdenträgern und von englischen Premierministern, wie die Familiengeschichte der Cecils zeigt, und sogar noch von sehr vielen Führern großer Revolutionen.
Alles das wird vom Priestertum verneint und also auch von der Philosophie, soweit sie Priestertum ist. Der Stand des reinen Wachseins und der ewigen Wahrheiten richtet sich gegen die Zeit, die Rasse, das Geschlecht in jedem Sinne. Der Mann als Bauer oder Ritter ist dem Weibe als dem Schicksal zu-, der Mann als Priester ist ihm abgewandt. Der Adel ist stets in Gefahr, das öffentliche Leben im Privatleben verschwinden zu lassen, indem er den breiten Daseinsstrom in das Bett des kleineren seiner Ahnen und Enkel leitet. Der echte Priester erkennt das Privatleben, das Geschlecht, das »Haus« der Idee nach überhaupt nicht an. Für den Menschen von Rasse ist erst der Tod ohne Erben der wahre und furchtbare Tod, was die isländischen Sagas so gut wie der chinesische Ahnenkult lehren. Wer in Söhnen und Enkeln fortlebt, stirbt nicht ganz. Aber für den wahren Priester gilt das
media vita in morte sumus
: sein Erbe ist geistig und verwirft den Sinn des Weibes. Die überall wiederkehrenden Erscheinungsformen dieses zweiten Standes sind die Ehelosigkeit, das Kloster, die Bekämpfung des Geschlechtlichen bis zur Selbstentmannung, die
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