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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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geschichtlich hinter ihm liegt. Aber den beiden Urständen gegenüber ist der Bürger wie der Bauer ein Rest, ein Nichtstand. Der Bauer zählt im Denken der »Privilegierten« kaum noch mit. Der Bürger zählt, aber als Gegensatz und Hintergrund. Er ist das, woran die andern sich ihrer jenseits alles Praktischen liegenden Bedeutung bewußt werden. Wenn das in allen Kulturen in genau derselben Form der Fall ist und der Gang der Geschichte sich überall in und mit den Gegensätzen dieser Gruppen vollzieht, so daß triebhafte Bauernkriege die Frühzeit, geistig begründete Bürgerkriege die Spätzeit durchsetzen – mag die Symbolik der einzelnen Kulturen sonst noch so verschieden sein –, so muß der Sinn dieser Tatsache in den letzten Gründen des Lebens selbst gesucht werden.
    Es ist eine
Idee
, welche den beiden Urständen
und ihnen allein
zugrunde liegt. Sie gibt ihnen das mächtige Gefühl eines von Gott verliehenen und deshalb aller Kritik enthobenen Ranges, welche Selbstachtung und Selbstbewußtsein, aber auch die härteste Selbstzucht, unter Umständen selbst den Tod zur Pflicht macht und beiden die geschichtliche Überlegenheit, den Zauber der Seele verleiht, der Macht nicht voraussetzt, sondern erzeugt. Menschen, welche diesen Ständen innerlich und nicht nur dem Namen nach angehören, sind wirklich etwas andres als der Rest; ihr Leben ist im Gegensatz zum bäuerlichen und bürgerlichen durch und durch von einer sinnbildlichen Würde getragen. Es ist nicht da, um geführt zu werden, sondern um Bedeutung zu haben. Es sind die beiden Seiten alles frei beweglichen Lebens, die in diesen Ständen zum Ausdruck gelangen,
von denen der eine ganz Dasein, der andre ganz Wachsein ist
.
    Jeder Adel ist ein lebendiges Symbol
der
Zeit, jede Priesterschaft eins
des Raumes
. Schicksal und heilige Kausalität, Geschichte und Natur, das Wann und das Wo, Rasse und Sprache, Geschlechtsleben und Sinnenleben: das alles kommt darin zum höchstmöglichen Ausdruck. Der Adel lebt in einer Welt von Tatsachen, der Priester in einer Welt von Wahrheiten; jener ist Kenner, dieser Erkenner, jener Täter, dieser Denker. Aristokratisches Weltgefühl ist durch und durch Takt, priesterliches verläuft durchaus in Spannungen. Zwischen den Zeiten Karls des Großen und Konrads II. hat sich im Strome des Daseins etwas herausgebildet, das man nicht erklären kann, sondern fühlen muß, um den Anbruch einer neuen Kultur zu verstehen. Edle und Geistliche gab es längst, Adel und Priestertum im großen Sinne und mit der vollen Wucht sinnbildlicher Bedeutsamkeit gibt es erst jetzt und nicht für lange Zeit. [Die Leichtigkeit, mit welcher in Rußland die vier sogenannten Stände der petrinischen Zeit – Adel, Kaufleute, Kleinbürger, Bauern – durch den Bolschewismus ausgelöscht worden sind, beweist, daß sie bloße Nachahmung und Verwaltungspraxis waren, aber ohne alle Symbolik, die sich durch Gewalt nicht ersticken läßt. Sie entsprechen den äußeren Rang- und Besitzunterschieden im Westgoten- und Frankenreich und in mykenischer Zeit, wie sie in den ältesten Teilen der Ilias noch durchschimmern. Erst in Zukunft werden sich echter Adel und Priestertum russischen Stils herausbilden.] Die Gewalt dieser Symbolik ist so groß, daß zunächst jeder andre Unterschied nach Landschaften, Völkern und Sprachen dagegen zurücktritt. Die gotische Geistlichkeit bildet durch alle Länder hin, von Irland bis nach Kalabrien, eine einzige große Gemeinschaft; die frühantike Ritterschaft vor Troja und die frühgotische vor Jerusalem wirken wie eine große Familie. Die altägyptischen Gaue und die Lehnsstaaten der ersten Dschouzeit erscheinen den Ständen gegenüber
deshalb
als matte Gebilde, ganz wie das Burgund und Lothringen der Stauferzeit. Kosmopolitisches gibt es am Anfang und am Ende einer Kultur, aber dort, weil die sinnbildliche Gewalt der ständischen Formen noch über die der Nationen hinausragt, hier weil die formlose Masse unter sie herabsinkt.
    Beide Stände schließen sich der Idee nach aus. Der Urgegensatz von Kosmischem und Mikrokosmischem, der alle frei im Raum beweglichen Wesen durchdringt, liegt auch ihrem Doppeldasein zugrunde. Jeder ist nur durch den andern möglich und notwendig. In der homerischen Welt herrscht feindliches Schweigen über die orphische, und jene wird für diese, wie die vorsokratischen Denker bezeugen, ein Gegenstand des Zorns und der Verachtung. In gotischer Zeit sind die reformatorischen Geister den Renaissancenaturen in

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