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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Abend, bei der Galavorstellung im Theater, sah der Kaiser ungewöhnlich ernst aus. Diederich bemerkte es, er sagte zu Guste: »Jetzt weiß ich doch, wozu ich das viele Geld hab ausgegeben. Paß auf, wir erleben einen historischen Moment!« Und seine Ahnung betrog ihn nicht. Die Abendblätter verbreiteten sich im Theater, und man erfuhr, der Kaiser werde noch nachts abreisen und er habe seinen Reichstag aufgelöst! Diederich, ebenso ernst wie der Kaiser, erklärte allen, die in der Nähe saßen, die Schwere des Ereignisses. Der Umsturz hatte sich nicht entblödet, die Militärvorlage abzulehnen! Die Nationalgesinnten gingen für ihren Kaiser in einen Kampf auf Leben und Tod! Er selbst werde mit dem nächsten Zuge nach Hause fahren, versicherte er, worauf man ihm sofort den Zug nannte... Wer nicht zufrieden war, war Guste. »Endlich ist man mal woanders, und Gott sei Dank hat man es und kann sich was leisten. Wie komm ich dazu, daß ich mich soll zwei Tage im Hotel mopsen und dann gleich wieder retour, bloß wegen —« Der Blick, den sie nach der kaiserlichen Loge schleuderte, war so voll von Auflehnung, daß Diederich mit äußerster Strenge einschritt. Guste ward ihrerseits laut; ringsum zischte man, und als Diederich den Widersachern blitzend die Stirne bot, sah er sich von ihnen veranlaßt, mit Guste aufzubrechen, noch bevor ihr Zug ging. »Komment hat das Pack nun mal nicht«, stellte er draußen fest und schnaufte stark. »Überhaupt, was ist hier los, möcht ich mal wissen. Schönes Wetter, na ja... Na, nu sieh dir wenigstens noch das alte Zeug an, das da rumsteht!« heischte er. Guste, wieder gebändigt, sagte klagend: »Ich genieß es ja.« Und dann fuhren sie in gemessenem Abstand hinter dem Zug des Kaisers her. Guste, die in der Eile ihre Schwämme und Bürsten vergessen hatte, wollte immer aussteigen. Damit sie sechsunddreißig Stunden Geduld hatte, mußte Diederich ihr unermüdlich die nationale Sache vorhalten. Trotzdem waren, als sie endlich in Netzig Fuß faßte, ihre erste Sorge die Schwämme. Am Sonntag hatte man ankommen müssen! Zum Glück war wenigstens die Löwenapotheke offen. Indes Diederich vor dem Bahnhof auf die Koffer wartete, ging Guste schon hinüber. Da sie aber nicht zurückkam, folgte er ihr.
    Die Tür der Apotheke stand halb offen, drei junge Burschen spähten hinein und wälzten sich. Diederich, der über sie wegsah, erstarrte vor Staunen — denn drinnen hinter dem Ladentisch schritt, die Arme gekreuzt und mit düsterem Blick, hin und her sein alter Freund und Kommilitone Gottlieb Hornung. Guste sagte gerade: »Nun bin ich doch gespannt, ob ich bald meine Zahnbürste kriege«, da kam Gottlieb Hornung hinter dem Ladentisch hervor, die Arme immer verschränkt und Guste in seinen düsteren Blick fassend. »Sie werden meiner Miene angesehen haben«, begann er mit Rednerstimme, »daß ich weder in der Lage noch gewillt bin, Ihnen eine Zahnbürste zu verkaufen.« — »Nanu!« machte Guste und wich zurück. »Aber Sie haben doch das ganze Glas hier voll.« Gottlieb Hornung lächelte wie Luzifer. »Der Onkel dort oben« — er warf den Kopf zurück und zeigte mit dem Kinn nach der Decke, hinter der wohl sein Prinzipal hauste —, »der kann hier feilbieten, was ihm beliebt. Ich fühle mich dadurch nicht berührt. Ich habe nicht sechs Semester studiert und einer hochfeinen Korporation angehört, damit ich mich jetzt hier hinstelle und Zahnbürsten verkaufe.« — »Wozu sind Sie denn da?« fragte Guste, merklich eingeschüchtert. Da versetzte Hornung, majestätisch rollend: »Ich bin für die Rezeptur da!« Und Guste fühlte wohl, sie sei zurückgeschlagen; sie wandte sich zum Gehen. Eins fiel ihr doch noch ein. »Mit den Schwämmen wäre es wohl dasselbe?« — »Ganz dasselbe«, bestätigte Hornung. Hierauf hatte Guste offenbar gewartet, um sich ernstlich zu entrüsten. Sie streckte den Busen vor und wollte loslegen; Diederich hatte eben noch Zeit, dazwischenzutreten. Er gab dem Freunde recht darin, daß die Würde der Neuteutonia zu wahren und ihr Banner hochzuhalten sei. Wenn jemand trotzdem einen Schwamm brauchte, konnte er ihn sich am Ende selbst nehmen und den Betrag hinlegen — was Diederich hiermit tat. Gottlieb Hornung ging inzwischen beiseite und pfiff, als sei er allein. Sodann bekundete Diederich seine Teilnahme an dem bisherigen Ergehen des Freundes. Leider war viel Mißgeschick dabei; denn da Hornung niemals Schwämme und Zahnbürsten hatte verkaufen wollen, war er schon aus

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