Der Untertan
ist, soll Knecht bleiben, das wird nicht nur euch Arbeitern gesagt: das sagen die Herren, deren Macht wir immer teurer bezahlen sollen, uns allen!«
»Sehr wahr! Bravo! Keinen Mann und keinen Groschen!« Inmitten bewegter Zustimmung setzte der alte Buck sich. Diederich, dem äußersten Kampf nahe und im voraus schweißtriefend, sandte noch einen Blick durch den Saal und bemerkte Gottlieb Hornung, der die Lieferanten des Kaiser-Wilhelm-Denkmals befehligte. Pastor Zillich bewegte sich unter den christlichen Jünglingen, der Kriegerverein war um Kunze geschart: da zog Diederich blank. »Der Erbfeind erhebt wieder mal das Haupt!« schrie er mit Todesverachtung. »Ein Vaterlandsverräter, wer unserm herrlichen Kaiser versagt, was er —«
»Hu, hu!« riefen die Vaterlandsverräter; aber Diederich, unter den Beifallssalven der Gutgesinnten, schrie weiter, wenn ihm auch die Stimme überschnappte. »Ein französischer General hat Revanche verlangt!« Vom Büro her fragte jemand: »Wieviel hat er aus Berlin dafür bekommen?« Worauf man lachte — indes Diederich mit den Armen hinaufgriff, als wollte er in die Luft steigen. »Schimmernde Wehr! Blut und Eisen! Mannhafte Ideale! Starkes Kaisertum!« Seine Kraftworte stießen rasselnd aneinander, umlärmt vom Getöse der Gutgesinnten. »Festes Regiment! Bollwerk gegen die Schlammflut der Demokratie!«
»Ihr Bollwerk heißt Wulckow!« rief wieder die Stimme vom Büro. Diederich fuhr herum, er erkannte Heuteufel. »Wollen Sie sagen, die Regierung Seiner Majestät —?« — »Auch ein Bollwerk!« sagte Heuteufel. Diederich reckte den Finger nach ihm. »Sie haben den Kaiser beleidigt!« rief er mit äußerster Schneidigkeit. Aber hinter ihm kreischte jemand: »Spitzel!« Es war Napoleon Fischer, und seine Genossen wiederholten es aus rauhen Kehlen. Sie waren aufgesprungen, sie umringten Diederich in unglückverheißender Weise. »Er provoziert schon wieder! Er will noch einen ins Loch bringen! Raus!« Und Diederich ward angepackt. Angstverzerrt wand er den Hals, den schwielige Fäuste beengten, nach dem Vorsitzenden hin und flehte erstickt um Hilfe. Der alte Buck gewährte sie ihm, er klingelte anhaltend, und er schickte sogar einige junge Leute aus, damit sie Diederich von seinen Feinden erretteten. Kaum daß er sich rühren konnte, schwang Diederich den Finger gegen den alten Buck. »Die demokratische Korruption!« schrie er, tanzend vor Leidenschaft. »Ich will sie ihm beweisen!« — »Bravo! Reden lassen!« — und das Lager der nationalen Männer setzte sich in Bewegung, überrannte die Tische und maß sich Aug in Auge mit dem Umsturz. Ein Handgemenge schien bevorzustehen: schon faßte der Polizeileutnant dort oben seinen Helm an, um sich damit zu bedecken; es war ein kritischer Moment — da hörte man von der Bühne herab befehlen: »Ruhe! Er soll sprechen!« Und es ward fast still, man hatte einen Zorn vernommen, größer als irgendeiner hier. Der alte Buck, heraufgewachsen hinter seinem Tisch dort oben, war kein würdiger Greis mehr, er schien schlanker vor Kraft, vom Haß war er bleich, und einen Blick schnellte er gegen Diederich: der Atem stockte einem.
»Er soll sprechen!« wiederholte der Alte. »Auch Verräter haben das Wort, bevor sie abgeurteilt werden. So sehen die Verräter an der Nation aus. Sie haben sich nur äußerlich verändert seit den Zeiten, da mein Geschlecht kämpfte, fiel, ins Gefängnis und auf die Richtstätte ging.«
»Haha«, machte hier Gottlieb Hornung, voll überlegenen Spottes. Zu seinem Unglück saß er im Armbereich eines starken Arbeiters, der so furchtbar nach ihm ausholte, daß Hornung, noch bevor der Schlag ihn traf, umfiel mitsamt seinem Stuhl.
»Schon damals«, rief der Alte, »gab es solche, die statt der Ehre den Nutzen wählten und denen keine Herrschaft demütigend schien, wenn sie sie bereicherte. Der sklavische Materialismus, Frucht und Mittel jeder Tyrannei, er war es, dem wir unterlagen, und auch ihr, Mitbürger —«
Der Alte breitete die Arme aus, er spannte sich zu dem letzten Schrei seines Gewissens.
»Mitbürger, auch ihr lauft heute Gefahr, von ihm verraten und seine Beute zu werden! Dieser Mensch soll sprechen.«
»Nein!«
»Er soll sprechen. Dann aber fragt ihn, wieviel eine Gesinnung, die national zu nennen er die Stirn hat, in barem Gelde beträgt. Fragt ihn, wem er sein Haus verkauft hat, zu welchem Zweck und mit welchem Nutzen!«
»Wulckow!« Der Ruf kam von der Bühne, aber der Saal nahm ihn auf.
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