Der Untertan
Gustes und ihres Geldes, des Denkmals, der hohen Gunst, Gausenfelds, der Auszeichnungen und Ämter. Er sah Emmi an und dachte auch an Agnes. Agnes, die Weichheit und Liebe in ihm gepflegt hatte, sie war in seinem Leben das Wahre gewesen, er hätte es festhalten sollen! Wo war sie jetzt? Tot? Er saß manchmal da, den Kopf in den Händen. Was hatte er nun? Was hatte man vom Dienst der Macht? Wieder einmal versagte alles, alle verrieten ihn, mißbrauchten seine reinsten Absichten, und der alte Buck beherrschte die Lage. Agnes, die nichts vermochte als leiden, es beschlich ihn, als ob sie gesiegt habe. Er schrieb nach Berlin und erkundigte sich nach ihr. Sie war verheiratet und leidlich gesund. Das erleichterte ihn, aber irgendwie enttäuschte es ihn auch.
Aber während er, den Kopf in den Händen, dasaß, kam der Wahltag herbei. Erfüllt von der Eitelkeit der Dinge, hatte Diederich von allem, was vorging, nichts mehr sehen wollen, auch nicht, daß die Miene seines Maschinenmeisters immer feindlicher ward. Am Sonntag der Wahl, frühmorgens, als Diederich noch im Bett lag, trat Napoleon Fischer bei ihm ein. Ohne sich im geringsten zu entschuldigen, begann er: »Ein ernstes Wort in letzter Stunde, Herr Doktor!« Diesmal war er es, der Verrat witterte und sich auf den Pakt berief. »Ihre Politik, Herr Doktor, hat ein doppeltes Gesicht. Uns haben Sie Versprechungen gemacht, und loyal, wie wir sind, haben wir gegen Sie nicht agitiert, sondern bloß gegen den Freisinn.«
»Wir auch«, behauptete Diederich.
»Das glauben Sie selbst nicht. Sie haben sich bei Heuteufel angebiedert. Er hat Ihnen Ihr Denkmal schon bewilligt. Wenn Sie nicht gleich heute mit fliegenden Fahnen zu ihm übergehn, dann tun Sie es sicher bei der Stichwahl und treiben schnöden Volksverrat.«
Napoleon Fischer tat, die Arme verschränkt, noch einen langen Schritt auf das Bett zu. »Sie sollen bloß wissen, Herr Doktor, daß wir die Augen offenhalten.«
Diederich sah sich in seinem Bett hilflos dem politischen Gegner ausgeliefert. Er suchte ihn zu besänftigen. »Ich weiß, Fischer, Sie sind ein großer Politiker. Sie sollten in den Reichstag kommen.«
»Stimmt.« Napoleon blinzte von unten. »Denn wenn ich nicht hineinkomme, dann geht in Netzig in mehreren Betrieben ein Streik los. Einen von den Betrieben kennen Sie ziemlich genau, Herr Doktor.« Er machte kehrt. Von der Tür her faßte er Diederich, der vor Schreck ganz in die Federn gerutscht war, nochmals ins Auge. »Und darum hoch die internationale Sozialdemokratie!« rief er und ging ab.
Diederich rief aus seinen Federn: »Seine Majestät der Kaiser, hurra!« Dann aber blieb nichts übrig, als der Lage ins Gesicht zu sehen. Sie sah drohend genug aus. Schwer von Ahnungen eilte er auf die Straße, in den Kriegerverein, zu Klappsch, und überall mußte er erkennen, daß in den Tagen seiner Mutlosigkeit die tückische Taktik des alten Buck weitere Erfolge zu verzeichnen gehabt hatte. Die »Partei des Kaisers« war verwässert durch Zulauf aus den Reihen des Freisinns und der Abstand Kunzes von Heuteufel unbeträchtlich gegen die Kluft zwischen ihm und Napoleon Fischer. Pastor Zillich, der mit seinem Schwager Heuteufel einen verschämten Gruß austauschte, erklärte, daß die »Partei des Kaisers« mit ihrem Erfolg zufrieden sein dürfe, denn sicher habe sie dem Kandidaten des Freisinns, wenn er schließlich siege, das nationale Gewissen gestärkt. Da Professor Kühnchen sich ähnlich äußerte, war der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß ihnen die von Diederich und Wulckow erpreßten Versprechungen noch nicht genügten und daß sie sich durch weitere persönliche Vorteile vom alten Buck hatten gewinnen lassen. Der Korruption des demokratischen Klüngels war alles zuzutrauen! Was Kunze betraf, so wollte er auf jeden Fall selbst gewählt werden, notfalls mit Hilfe der Freisinnigen. Ihn hatte sein Ehrgeiz korrumpiert, er hatte ihn schon dahin gebracht, zu versprechen, daß er für das Säuglingsheim eintreten werde! Diederich entrüstete sich; Heuteufel sei hundertmal schlimmer als irgendein Prolet; und er spielte auf die düsteren Folgen an, die eine so unpatriotische Haltung haben müsse. Leider durfte er nicht deutlicher werden — und vor sich das Bild des Streiks, im Herzen schon die Trümmer des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, Gausenfelds, aller seiner Träume, lief er im Regen umher zwischen den Wahllokalen und schleppte gutgesinnte Wähler herbei, im vollen Bewußtsein, daß ihre Kaisertreue
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