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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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»Seine Majestät haben das erhabene Wort gesprochen: Mein afrikanisches Kolonialreich für einen Haftbefehl gegen Eugen Richter! Ich aber, meine Herren, liefere Seiner Majestät die nächsten Freunde Richters!« Er ließ die Begeisterung verrauschen; dann, mit verhältnismäßig gedämpfter Stimme: »Und darum, meine Herren, habe ich besondere Gründe, zu vermuten, was man an hoher, sehr hoher Stelle von der ›Partei des Kaisers‹ erwartet.« Er griff an seine Brusttasche, als trüge er dort auch diesmal die Entscheidung; und plötzlich aus voller Lunge: »Wer jetzt noch seine Stimme dem Freisinnigen gibt, der ist kein kaisertreuer Mann!« Da die Versammlung dies einsah, machte Napoleon Fischer, der zugegen war, den Versuch, sie auf die gebotenen Konsequenzen ihrer Haltung hinzuweisen. Sofort fuhr Diederich dazwischen. Die nationalen Wähler würden schweren Herzens ihre Pflicht tun und das kleinere Übel wählen. »Aber ich bin der erste, der jedes Paktieren mit dem Umsturz weit von sich weist!« Er schlug so lange auf das Rednerpult, bis Napoleon in der Versenkung verschwand. Und daß Diederichs Entrüstung echt war, ersah man in der Frühe des Stichwahltages aus der sozialdemokratischen »Volksstimme«, die, unter höhnischen Ausfällen gegen Diederich selbst, alles wiedergab, was er über den alten Buck gesagt hatte, und zwar nannte sie den Namen. »Heßling fällt hinein«, sagten die Wähler, »denn jetzt muß Buck ihn verklagen.« Aber viele antworteten: »Buck fällt hinein, der andere weiß zuviel.« Auch die Freisinnigen, soweit sie der Vernunft zugänglich waren, fanden jetzt, es sei an der Zeit, vorsichtig zu werden. Wenn die Nationalen, mit denen nicht zu spaßen schien, nun einmal meinten, man solle für den Sozialdemokraten stimmen — Und war der Sozialdemokrat erst gewählt, dann war es gut, daß man ihn mit gewählt hatte, sonst ward man noch boykottiert von den Arbeitern... Die Entscheidung aber fiel nachmittags um drei. In der Kaiser-Wilhelm-Straße erscholl Alarmgeblase, alles stürzte an die Fenster und unter die Ladentüren, um zu sehen, wo es brenne. Es war der Kriegerverein in Uniform, der herbeimarschierte. Seine Fahne zeigte ihm den Weg der Ehre. Kühnchen, der das Kommando führte, hatte die Pickelhaube wild im Nacken sitzen und schwang auf furchterregende Weise seinen Degen. Diederich in Reih und Glied stapfte mit und freute sich der Zuversicht, daß nun in Reih und Glied, nach Kommandos und auf mechanischem Wege alles Weitere sich abwickeln werde. Man brauchte nur zu stapfen, und aus dem alten Buck ward Kompott gemacht unter dem Taktschritt der Macht!... Am andern Ende der Straße holte man die neue Fahne ab und empfing sie, bei schmetternder Musik, mit stolzem Hurra. Unabsehbar verlängert durch die Werbungen des Patriotismus, erreichte der Zug das Klappsche Lokal. Hier ward in Sektionen eingeschwenkt, und Kühnchen befahl »Küren«. Der Wahlvorstand, an seiner Spitze Pastor Zillich, wartete schon, festlich gekleidet, im Hausflur. Kühnchen kommandierte mit Kampfgeschrei: »Auf, Kameraden, zur Wahl! Wir wählen Fischer!« — worauf es vom rechten Flügel ab, unter schmetternder Musik, in das Wahllokal ging. Dem Kriegerverein aber folgte der ganze Zug. Klappsch, der auf so viel Begeisterung nicht vorbereitet war, hatte schon kein Bier mehr. Zuletzt, als die nationale Sache alles abgeworfen zu haben schien, dessen sie fähig war, kam noch, von Hurra empfangen, der Bürgermeister Doktor Scheffelweis. Er ließ sich ganz offenkundig den roten Zettel in die Hand drücken, und bei der Rückkehr von der Urne sah man ihn freudig bewegt. »Endlich!« sagte er und drückte Diederich die Hand. »Heute haben wir den Drachen besiegt.« Diederich erwiderte schonungslos: »Sie, Herr Bürgermeister? Sie stecken noch halb in seinem Rachen. Daß er Sie nur nicht mitnimmt, jetzt wo er verreckt!« Während Doktor Scheffelweis erbleichte, stieg wieder ein Hurra. Wulckow!...
    Fünftausend und mehr Stimmen für Fischer! Heuteufel mit kaum dreitausend war fortgefegt von der nationalen Woge, und in den Reichstag zog der Sozialdemokrat. Die »Netziger Zeitung« stellte einen Sieg der »Partei des Kaisers« fest, denn ihr verdanke man es, daß eine Hochburg des Freisinns gefallen sei — womit aber Nothgroschen weder große Befriedigung noch lauten Widerspruch weckte. Die eingetretene Tatsache fanden alle natürlich, aber gleichgültig. Nach dem Rummel der Wahlzeit hieß es nun wieder Geld verdienen. Das

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