Der Untertan
ungelegen. »O nein!« versicherte Diederich. Er lud den Gast zum Sitzen ein und brachte Kognak. Buck entschuldigte sich wegen der ungewöhnlichen Stunde; der Dienst lasse ihm keine Wahl. »Das kennen wir«, sagte Diederich; und um Fragen zuvorzukommen, berichtete er sofort, daß sein Jahr schon hinter ihm liege. Er sei begeistert vom Militär, es sei das Wahre. Wer ganz dabeibleiben könnte! Leider riefen ihn Familienpflichten. Buck lächelte, ein weiches, skeptisches Lächeln, das Diederich mißfiel. »Nun ja, die Offiziere: man ist wenigstens unter Leuten mit guten Manieren.«
»Sie verkehren mit ihnen?« fragte Diederich, und er meinte es höhnisch. Aber Buck erklärte einfach, daß er zuweilen in die Offiziersmesse geladen werde. Er zuckte die Achseln. »Ich gehe hin, weil ich es für nützlich halte, mich in allen Lagern umzusehen. Andererseits verkehre ich viel mit Sozialisten.« Er lächelte wieder. »Manchmal möchte ich nämlich General werden und manchmal Arbeiterführer. Auf welche Seite ich schließlich fallen werde, darauf bin ich selbst neugierig.« Und er trank das zweite Glas Kognak aus. ›Ein ekelhafter Mensch‹, dachte Diederich. ›Und Agnes in der Dunkelkammer!‹ Er sagte: »Mit Ihren Mitteln steht es Ihnen ja frei, sich in den Reichstag wählen zu lassen oder was Ihnen sonst Spaß macht. Ich bin auf praktische Arbeit angewiesen. Die Sozialdemokratie betrachte ich übrigens als meinen Feind, denn sie ist der Feind des Kaisers.«
»Wissen Sie das so genau?« fragte darauf Buck. »Ich traue eher dem Kaiser eine heimliche Liebe für die Sozialdemokratie zu. Er wäre gern selbst der erste Arbeiterführer geworden. Sie haben nur nicht gewollt.«
Diederich empörte sich. Das sei beleidigend für Seine Majestät. Aber Buck ließ sich nicht stören. »Erinnern Sie sich nicht, wie er Bismarck gegenüber gedroht hat, er wolle den reichen Leuten seinen militärischen Schutz entziehen? Er hat, wenigstens anfangs, gradesolche Ranküne gegen die Reichen gehabt wie die Arbeiter — wenn auch natürlich aus abweichenden Gründen, weil er sich nämlich schwer damit abfindet, daß auch andere Macht haben.«
Den Ausrufen, die in Diederichs Mienen standen, kam Buck zuvor. »Glauben Sie bitte nicht«, sagte er lebhafter, »daß Antipathie aus mir spricht. Es ist im Gegenteil Zärtlichkeit: eine Art feindlicher Zärtlichkeit, wenn Sie wollen.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Diederich.
»Nun ja: wie man sie für jemand hat, bei dem man seine eigenen Fehler wiederfindet, oder nennen Sie es Tugenden. Jedenfalls sind wir jungen Leute jetzt alle so wie unser Kaiser, daß wir nämlich unsere Persönlichkeit ausleben möchten und doch ganz gut fühlen, Zukunft hat nur die Masse. Einen Bismarck wird es nicht mehr geben und auch keinen Lassalle mehr. Vielleicht sind es die Begabteren unter uns, die sich das heute noch ableugnen möchten. Er jedenfalls möchte es sich ableugnen. Und wenn einem solche Unmenge Macht in den Schoß gefallen ist, wäre es auch wirklich Selbstmord, sich nicht zu überschätzen. Aber in tiefster Seele hat er sicher seine Zweifel an der Rolle, die er sich zumutet.«
»Rolle?« fragte Diederich. Buck merkte es gar nicht.
»Denn die kann ihn weit führen, da sie in der Welt, wie sie heute nun einmal ist, verdammt paradox wirken muß. Diese Welt erwartet von keinem einzelnen irgend mehr als von seinem Nachbarn. Auf Niveau kommt es an, nicht auf Auszeichnung, und am allerwenigsten auf große Männer.«
»Erlauben Sie!« Diederich warf sich in die Brust. »Und das Deutsche Reich, hätten wir das ohne große Männer? Hohenzollern sind immer große Männer.« — Buck verzog schon wieder den Mund, wehmütig und skeptisch. »Dann müssen sie sich in acht nehmen. Und wir andern auch. Der Kaiser steht, auf seine Verhältnisse übertragen, vor derselben Frage wie ich. Soll ich General werden und mein ganzes Leben auf einen Krieg einrichten, der voraussichtlich nie mehr geführt werden wird? Oder ein womöglich genialer Volksführer, während das Volk doch schon so weit ist, daß es auf die Genies verzichten kann? Beides wäre Romantik, und Romantik führt bekanntlich zum Bankerott.« Buck trank zwei Kognaks nacheinander.
»Was soll ich also werden?«
›Ein Alkoholiker‹, dachte Diederich. Er fragte sich, ob es nicht seine Pflicht sei, Buck einen Krach zu machen. Aber Buck trug Uniform! Auch würde der Lärm vielleicht Agnes hervorgescheucht haben, und was konnte dann alles entstehen. Immerhin
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