Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats
Privatrecht. Und dennoch geht unsre ganze bisherige Geschichtsschreibung von der, namentlich im achtzehnten Jahrhundert unantastbar gewordnen, absurden Voraussetzung aus, die monogame Einzelfamilie, die kaum älter ist als die Civilisation, sei der Krystallkern, um den sich Gesellschaft und Staat allmälig angesetzt habe.
»Herrn Grote ferner zu bemerken, fügt Marx ein, daß obgleich die Griechen ihre Gentes aus der Mythologie herleiten, jene Gentes älter sind als die von ihnen selbst geschaffne Mythologie mit ihren Göttern und Halbgöttern.«
Grote wird von Morgan mit Vorliebe angeführt, weil er ein angesehner und doch ganz unverdächtiger Zeuge. Er erzählt weiterhin, daß jede athenische Gens einen von ihrem vermeintlichen Stammvater abgeleiteten Namen hatte, daß vor Solon allgemein, und noch nach Solon bei Abwesenheit eines Testaments, die Gentilgenossen (gennêtes) des Verstorbenen sein Vermögen erbten, und daß im Fall von Todtschlag zunächst die Verwandten, dann die Gentilgenossen und endlich die Phratoren des Erschlagenen das Recht und die Pflicht hatten, den Verbrecher vor den Gerichten zu verfolgen: »alles was wir von den ältesten athenischen Gesetzen hören, ist begründet auf die Eintheilung in Gentes und Phratrien.«
Die Abstammung der Gentes von gemeinsamen Urahnen hat den »schulgelehrten Philistern« (Marx) schweres Kopfbrechen gemacht. Da sie diese natürlich für rein mythisch ausgeben, so können sie sich die Entstehung einer Gens aus nebeneinanderstehenden, ursprünglich gar nicht verwandten Familien platterdings nicht erklären, und doch müssen sie dies fertig bringen, um nur das Dasein der Gentes zu erklären. Da wird denn ein sich im Kreise drehender Wortschwall aufgeboten, der nicht über den Satz hinauskommt: der Stammbaum ist zwar eine Fabel, aber die Gens ist eine Wirklichkeit, und schließlich heißt es denn bei Grote – mit Einschiebungen von Marx – wie folgt: »Wir hören von diesem Stammbaum nur selten, weil er vor die Oeffentlichkeit nur in gewissen, besonders feierlichen Fällen gebracht wird. Aber die geringeren Gentes hatten ihre gemeinsamen Religionsübungen (sonderbar dies, Mr. Grote!) und gemeinsamen übermenschlichen Stammvater und Stammbaum ganz wie die berühmteren (Wie gar sonderbar dies, Herr Grote, bei geringeren Gentes!); der Grundplan und die ideale Grundlage (werther Herr, nicht ideal , sondern karnal, germanice fleischlich !) war bei allen dieselbe.«
Marx faßt Morgan's Antwort hierauf wie folgt zusammen: »Das der Gens in ihrer Urform – und die Griechen hatten diese einst besessen wie andre Sterbliche – entsprechende Blutsverwandtschaftssystem bewahrte die Kenntniß der Verwandtschaften aller Mitglieder der Gentes unter einander. Sie lernten dies für sie entscheidend Wichtige durch Praxis von Kindesbeinen. Mit der monogamen Familie fiel dies in Vergessenheit. Der Gentilname schuf einen Stammbaum, neben dem der der Einzelfamilie unbedeutend erschien. Es war nunmehr dieser Name, der die Thatsache der gemeinsamen Abstammung seiner Träger zu bewahren hatte; aber der Stammbaum der Gens ging so weit zurück, daß die Mitglieder ihre gegenseitige wirkliche Verwandtschaft nicht mehr nachweisen konnten, außer in beschränkter Zahl von Fällen bei neueren, gemeinschaftlichen Vorfahren. Der Name selbst war Beweis gemeinsamer Abstammung, und endgültiger Beweis abgesehn von Adoptionsfällen. Dahingegen ist die thatsächliche Läugnung aller Verwandtschaft zwischen Gentilgenossen à la Grote und Niebuhr, welche die Gens in eine rein ersonnene und erdichtete Schöpfung verwandelt, würdig »idealer« d. h. stubenhockerischer Schriftgelehrter. Weil die Verkettung der Geschlechter, namentlich mit Anbruch der Monogamie, in die Ferne gerückt, und die vergangne Wirklichkeit im mythologischen Phantasiegebild wiedergespiegelt erscheint, schlossen und schließen Philister- Biedermänner, daß der Phantasiestammbaum wirkliche Genies schuf!«
Die Phratrie war, wie bei den Amerikanern, eine in mehrere Tochtergentes gespaltne und sie einigende Muttergens, und leitete sie alle oft noch vom gemeinsamen Stammvater ab. So hatten nach Grote »alle gleichzeitigen Glieder der Phratrie des Hekatäus einen und denselben Gott zum Stammvater im sechzehnten Glied«; alle Gentes dieser Phratrie waren also buchstäblich Brudergentes. Die Phratrie kommt noch bei Homer als militärische Einheit vor, in der berühmten Stelle, wo Nestor dem Agamemnon räth: Ordne die Männer nach
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