Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Titel: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Engels
Vom Netzwerk:
Mutter eines Kindes war, nicht aber, wer der Vater, daher: Verwandtschaft gerechnet nur in der weiblichen Linie mit Ausschluß der männlichen – Mutterrecht. Und eine zweite Folge des Mangels an Frauen innerhalb des Stammes – ein Mangel, gemildert, aber nicht beseitigt durch die Vielmännerei – war eben die systematische, gewaltsame Entführung von Frauen fremder Stämme. »Da Exogamie und Vielmännerei aus einer und derselben Ursache entspringen – dem Mangel der Gleichzahl zwischen beiden Geschlechtern – müssen wir alle exogamen Racen als ursprünglich der Vielmännerei ergeben ansehn. .... Und deshalb müssen wir es für unbestreitbar ansehn, daß unter exogamen Racen das erste Verwandtschaftssystem dasjenige war, welches Blutbande nur auf der Mutterseite kennt.« (MacLennan, Studies in Ancient History. 1886. Primitive Marriage, p. 124.)
    Es ist das Verdienst MacLennan's, auf die allgemeine Verbreitung und große Bedeutung dessen, was er Exogamie nennt, hingewiesen zu haben. Entdeckt hat er die Thatsache der exogamen Gruppen keineswegs, und verstanden hat er sie erst recht nicht. Von früheren, vereinzelten Notizen bei vielen Beobachtern – eben den Quellen MacLennan's – abgesehn, hatte Latham ( Descriptive Ethnology, 1859 ) diese Institution bei den indischen Magars genau und richtig beschrieben und gesagt, daß sie allgemein verbreitet sei und in allen Welttheilen vorkomme – eine Stelle, die MacLennan selbst anführt. Und unser Morgan hatte sie ebenfalls bereits 1847 in seinen Briefen über die Irokesen (im American Review) und 1851 in The League of the Iroquois bei diesem Volksstamm nachgewiesen und richtig beschrieben, während, wie wir sehn werden, der Advokatenverstand MacLennan's hier eine weit größere Verwirrung angerichtet hat, als Bachofen's mystische Phantasie auf dem Gebiet des Mutterrechts. Es ist MacLennan's ferneres Verdienst, die mutterrechtliche Abstammungsordnung als die ursprüngliche erkannt zu haben, obwohl ihm, wie er später auch anerkennt, Bachofen hier zuvorgekommen war. Aber auch hier ist er nicht im Klaren; er spricht stets von »Verwandtschaft nur in weiblicher Linie« ( kinship of females only ) und wendet diesen für eine frühere Stufe richtigen Ausdruck fortwährend auch auf spätere Entwicklungsstufen an, wo Abstammung und Vererbung zwar noch ausschließlich nach weiblicher Linie gerechnet, aber Verwandtschaft auch nach männlicher Seite anerkannt und ausgedrückt wird. Es ist die Beschränktheit des Juristen, der sich einen festen Rechtsausdruck schafft und diesen unverändert fort anwendet auf Zustände, die ihn inzwischen unanwendbar gemacht.
    Bei all ihrer Plausibilität, scheint es, kam die Theorie MacLennan's doch ihrem eignen Verfasser nicht zu fest gegründet vor. Wenigstens fällt ihm selbst auf, es sei »bemerkenswerth, daß die Form des [scheinbaren] Frauenraubs am ausgeprägtesten und ausdrucksvollsten ist grade bei den Völkern, wo männliche Verwandtschaft [soll heißen Abstammung in männlicher Linie] herrscht.« (S. 140.) Und ebenso: »Es ist eine sonderbare Thatsache, daß, soviel wir wissen, der Kindermord nirgendswo systematisch betrieben wird, wo die Exogamie und die älteste Verwandtschaftsform neben einander bestehn.« (S. 146.) Beides Thatsachen, die seiner Erklärungsweise direkt in's Gesicht schlagen, und denen er nur neue, noch verwickeltere Hypothesen entgegenhalten kann.
    Trotzdem fand seine Theorie in England großen Beifall und Anklang: MacLennan galt hier allgemein als Begründer der Geschichte der Familie und als erste Autorität auf diesem Gebiet. Sein Gegensatz von exogamen und endogamen »Stämmen,« so sehr man auch einzelne Ausnahmen und Modifikationen konstatirte, blieb doch die anerkannte Grundlage der herrschenden Anschauungsweise, und wurde die Scheuklappe, die jeden freien Ueberblick über das untersuchte Gebiet und damit jeden entscheidenden Fortschritt unmöglich machte. Der in England und nach englischem Vorbild auch anderswo üblich gewordenen Ueberschätzung MacLennan's ist es Pflicht, die Thatsache entgegenzuhalten, daß er mit seinem rein mißverständlichen Gegensatz von exogamen und endogamen »Stämmen« mehr Schaden angerichtet, als er durch seine Forschungen genützt hat.
    Indeß kamen schon bald mehr und mehr Thatsachen an's Licht, die in seinen zierlichen Rahmen nicht paßten. MacLennan kannte nur drei Formen der Ehe: Vielweiberei, Vielmännerei und Einzelehe. Als aber einmal die Aufmerksamkeit auf diesen

Weitere Kostenlose Bücher