Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats
durch Vielmännerei und Raubehe zur mutterrechtlichen Familie führenden Geschichtskonstruktion zu reden; daß der geringste Zweifel an der Existenz von einander absolut ausschließenden exogamen und endogamen »Stämmen« für frevelhafte Ketzerei galt; daß also Morgan, indem er alle diese geheiligten Dogmen in Dunst auflöste, eine Art von Sakrileg beging. Und obendrein löste er sie auf in einer Weise, die nur ausgesprochen zu werden brauchte, um sofort einzuleuchten; so daß die bisher zwischen Exogamie und Endogamie rathlos umhertaumelnden MacLennan-Verehrer sich fast mit der Faust vor den Kopf schlagen und ausrufen mußten: Wie konnten wir so dumm sein und das nicht schon lange selbst finden!
Und wenn das noch nicht der Verbrechen genug waren, um der offiziellen Schule jede andere Behandlung außer kühler Beiseiteschiebung zu verbieten, so machte Morgan das Maß übervoll, indem er nicht nur die Civilisation, die Gesellschaft der Waarenproduktion, die Grundform unserer heutigen Gesellschaft, in einer Weise kritisirte, die an Fourier erinnert, sondern von einer künftigen Umgestaltung dieser Gesellschaft in Worten spricht, die Karl Marx gesagt haben könnte. Es war also wohlverdient, wenn MacLennan ihm entrüstet vorwirft, »die historische Methode sei ihm durchaus antipathisch,« und wenn Herr Professor Giraud-Teulon in Genf ihm dies noch 1884 bestätigt. Wankte doch derselbe Herr Giraud-Teulon noch 1874 ( Origines de la famille ) hülflos im Irrgarten der MacLennan'schen Exogamie herum, aus dem ihn Morgan erst befreien mußte!
Auf die übrigen Fortschritte, die die Urgeschichte Morgan verdankt, brauche ich hier nicht einzugehn; im Verlauf meiner Arbeit findet sich das Nöthige darüber. Die vierzehn Jahre, die seit dem Erscheinen seines Hauptwerkes verflossen, haben unser Material für die Geschichte der menschlichen Urgesellschaften sehr bereichert; zu den Anthropologen, Reisenden und Prähistorikern von Profession sind die vergleichenden Juristen getreten und haben theils neuen Stoff, theils neue Gesichtspunkte gebracht. Manche Einzelhypothese Morgan's ist dadurch schwankend oder selbst hinfällig geworden. Aber nirgendwo hat das neu gesammelte Material dazu geführt, seine großen Hauptgesichtspunkte durch andere zu verdrängen. Die von ihm in die Urgeschichte gebrachte Ordnung gilt in ihren Hauptzügen noch heute. Ja, man kann sagen, sie findet mehr und mehr allgemeine Anerkennung in demselben Maß, worin seine Urheberschaft dieses großen Fortschritts verheimlicht wird. [Fußnote: Auf der Rückreise von New York im September 1888 traf ich einen ehemaligen Kongreßdeputirten für den Wahlbezirk von Rochester, der Lewis Morgan gekannt hatte. Er wußte mir leider nicht viel von ihm zu erzählen. Morgan habe in Rochester als Privatmann gelebt, nur mit seinen Studien beschäftigt. Sein Bruder sei Oberst und in Washington im Kriegsministerium angestellt gewesen; durch Vermittlung dieses Bruders habe er es fertig gebracht, die Regierung für seine Forschungen zu interessiren und mehrere seiner Werke auf öffentliche Kosten herauszugeben; er, der Erzähler, habe sich auch während seiner Kongreßzeit mehrfach dafür verwandt.]
London, 16. Juni 1891.
Friedrich Engels.
I. Vorgeschichtliche Kulturstufen.
Morgan ist der erste, der mit Sachkenntniß eine bestimmte Ordnung in die menschliche Vorgeschichte zu bringen versucht; so lange nicht bedeutend erweitertes Material zu Aenderungen nöthigt, wird seine Gruppirung wohl in Kraft bleiben.
Von den drei Hauptepochen: Wildheit, Barbarei, Civilisation beschäftigen ihn selbstredend nur die ersten zwei und der Uebergang zur dritten. Jede der beiden theilt er ein in eine untere, mittlere und obere Stufe, je nach den Fortschritten der Produktion der Lebensmittel; denn, sagt er: »die Geschicklichkeit in dieser Produktion ist entscheidend für den Grad menschlicher Ueberlegenheit und Naturbeherrschung; von allen Wesen hat nur der Mensch es bis zu einer fast unbedingten Herrschaft über die Erzeugung von Nahrungsmitteln gebracht. Alle großen Epochen menschlichen Fortschritts fallen, mehr oder weniger direkt, zusammen mit Epochen der Ausweitung der Unterhaltsquellen.« – Die Entwicklung der Familie geht daneben, bietet aber keine so schlagenden Merkmale zur Trennung der Perioden.
I. Wildheit.
1. Unterstufe : Kindheit des Menschengeschlechts, das, wenigstens theilweise auf Bäumen lebend, wodurch allein sein Fortbestehn gegenüber großen Raubthieren erklärlich,
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