Maenner weinen nicht
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich freue mich, dass Sie mit diesem Buch ein Thema entdecken wollen, zu dem es bislang nur wenig Literatur gibt – obwohl wir seit fast 1000 Jahren einige Besonderheiten der männlichen Depression kennen.
Der scharfen Beobachtungsgabe der Nonne und Äbtissin Hildegard von Bingen verdanken wir die erste Beschreibung melancholischer Männer. Die Melancholie bezeichnete einst einen traurigen Gemütszustand. Diese Männer hätten, so von Bingen, » eine düstere Gesichtsfarbe, auch sind ihre Augen ziemlich feurig und denen der Vipern (Giftschlangen, d. Red.) ähnlich. Sie haben harte und starke Gefäße, die schwarzes und dickes Blut in sich enthalten, und hartes Fleisch und große Knochen … « Kann man in dieser von Bingen’schen Beschreibung bereits typische Merkmale der männlichen Depression erkennen? Neigten depressive Männer schon damals zum Rausch und sorgten so in den Augen der großen Mystikerin für feurige Augen und den unappetitlichen Lebenssaft? Trieb sie exzessiver Bewegungsdrang zu hartem Fleisch und großen Knochen – hoffend, so den düsteren Gedanken zu entfliehen? All das wissen wir nicht genau. An anderer Stelle äußert sich die Theologin über den Sündenfall Adams und spricht drei wichtige Merkmale der Männerdepression an: die Traurigkeit, den Zorn oder die Aggression und die Neigung, der eigenen Gesundheit zu schaden. Diese Merkmale sind bis heute gültig.
Nach den Schriften der Hildegard von Bingen tat sich bei der Männerdepression lange nichts. Die Wissenschaft glaubte, dass Männer seltener depressiv seien. Stattdessen diagnostizierte man bei ihnen Süchte oder chronische Rückenschmerzen. Es dauerte, bis Fachleute erkannten, dass psychische Erkrankungen bei Männern andere Merkmale aufweisen als bei Frauen – und deshalb oft übersehen werden.
Ausschlaggebend für diese Erkenntnis war vor allem der Fakt, dass auf zwei bis drei depressive Frauen nur ein erkrankter Mann kommt, beim Suizid das Verhältnis aber genau umgekehrt ist. Da die meisten Suizide durch eine Depression ausgelöst werden, stimmte bei den Betroffenenzahlen offenbar etwas nicht. Heute glauben wir, dass Männer zumindest im höheren Lebensalter genauso oft an einer Depression erkranken wie Frauen.
Je mehr die Besonderheiten der »Männergesundheit« in den Fokus von Ärzten und Wissenschaftlern rückten, desto mehr interessierte man sich auch für die männliche Depression. Denn Männergesundheit reduziert sich nicht nur auf Prostata-Karzinom, Testosteron und Anti-Aging; sie sollte auch die psychischen Krankheiten berücksichtigen. Deshalb freue ich mich, dass die Autorinnen in der »Stiftung Männergesundheit« eine Unterstützerin gefunden haben, die das Gesundheits- und Vorsorgebewusstsein von Männern fördert.
Parallel zur Erforschung der männlichen Depression sollten wir endlich beginnen, erste wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. So gehören die typischen Anzeichen der männlichen Depression – wie sie schon Hildegard von Bingen erkannte – in Diagnosemanuale verankert. Und wir müssen dahin kommen, Männern auf sie zugeschnittene Therapieangebote zu unterbreiten, ambulant und auf den Depressionsstationen. Wie so etwas aussehen könnte, zeigt uns die bundesweit erste Tagesklinik für depressive Männer im niedersächsischen Wahrendorff.
Damit es auch der Öffentlichkeit leichter fällt, über Männerdepressionen zu sprechen, brauchen wir Bücher wie das vorliegende. Denn die Depression ist zwar die häufigste psychische Erkrankung. Sie ist heute aber gut und erfolgreich behandelbar. Es ist das Verdienst der Autorinnen, dass Sie in einer gut verständlichen Zusammenfassung blättern, auf dem aktuellen Forschungsstand und begleitet von vielen Fallbeispielen. Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beiträgt, die Männerdepression zu entstigmatisieren. Dem Buch wünsche ich weite Verbreitung und dass es betroffenen Männern – und ihren Frauen sowie Angehörigen – hilfreich sein möge, sich in der eigenen Depressivität besser zu verstehen und Hilfe zu suchen.
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Manfred Wolfersdorf
Bayreuth, September 2012
Liebe Leser,
Männer weinen nicht – Depression bei Männern , so lautet der Titel dieses Buches. Warum halten Sie es in der Hand? Hat die Schlagzeile Sie neugierig gemacht und möchten Sie gern mehr über das Phänomen erfahren? Oder sind Sie vielleicht empört, dass jetzt auch noch die Männer zu diesem Thema an die Wand
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