Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
Vom Netzwerk:
Farben schillerten. Gerade dadurch, daß meine Eltern auch schimpften und ich dann einen Hauch von Unterdrückung spürte, wurde ich noch viel phantasievoller und kreativer. Heute denke ich aber, man hätte einige schwach oder gar nicht mit Fa und Cre Besetzte übriglassen oder die Grade abstufen und dabei die dominante Vererblichkeit einbauen sollen. Weil darauf nicht geachtet wurde, sieht heute auf dieser Erde alles so chaotisch aus. Darum leben wir elend, einfach weil keine Menschenseele mehr existiert, die einem staunend, mißbilligend, wütend, dämlich glotzend zuhört, die uns aus Mangel an Vorstellungskraft behindert. Bist du jemals in deiner Fa und Cre behindert worden?
    Das werde ich doch dauernd, sagte der Enkel böse, allein durch dein Gerede, wo
ich mich auf das Muster im Teppich konzentrieren muß. Jetzt ist ein Loch zu groß
gebrannt.
Mach eine große Blume draus.
Mußt du mir dauernd reinreden, wenn ich was mache? Das ist mein Muster, das
ich entwickle.
Auf meinem Teppich, sagte Nostal.
    Das ist auch meine persönliche Idee. Wie kommst du überhaupt dazu, sie mir zu klauen, indem du sagst, es sei dein Teppich? Das habe ich selber ausgedacht, daß es dein Teppich sein muß, weil nämlich deiner so fußlig ist und besser nach gebratenem Staub stinkt, wenn man die Löcher reinbrennt, als der von meiner Mutter. Es ist auch ein Geruchsmuster, das ich entwickle.
    Ich hindere dich ja nicht, mein Junge. Aber wenn du dir unsere Städte ansiehst, Halbangefangenes, in einem Stil Begonnenes und in sechs anderen Fortgeführtes, dann Stehengebliebenes, Ruinen… Kann man die öffentliche Gruselschau denn noch als Stadt bezeichnen? Ja, früher, da ähnelte ein Häuserblock dem anderen. Da gab es eben nur die einschlägigen Formen der Schulgeometrie. Die Straßen schnurgerade, und ein Verlaufen war nicht möglich, die Straßenbänder brachten einen genau an den gewünschten Punkt. Ich gebe zu, es war ein bißchen langweilig, aber gerade auf der Basis der Langeweile, auf diesem grauen, weißlichen Untergrund, erschienen die Haufen zerbastelter und farbbeschmierter Materialien, die Trümmerschöpfungen aus allen Haushaltungen, die aus den Schächten rutschten, erregend, reizvoll. Es gab nur wenige Eltern, die nicht stolz waren, wenn sich vor ihrer Haustür der größte Fa-und-Cre-Haufen befand. Später wurde auf Differenziertheit und Farbnuancen Wert gelegt. Es war so unterhaltsam, spazierenzugehen und dabei diese Haufen zu untersuchen. Die Vielfalt der Ideen! Und dauernd waren wissenschaftliche Kommissionen aus Industriebereichen unterwegs, die diesen Haufen Anregungen entstocherten.
    Jetzt haben wir die Haufen auch noch, fuhr Nostal fort, aber der graue Untergrund ist hin. Die schnurgeraden Straßen gibt es nicht mehr, es gibt nur Windungen und Kurven, Labyrinthe, Sackgassen, plötzlich abgebrochene Wege. Kein Haus darf einem anderen nur entfernt ähneln. Mein Haus hat eine langgezogene Zitronenform, die Poren sind die Fenster, und aus der Spitze lassen wir uns mit Hilfe eines Ausstiegschlauchs herab. Ich war sehr froh, es konstruiert zu haben. Gut, dir mißfällt es. Aber wie findest du die Flasche, in der mein Nachbar haust und die er kriechend verlassen muß? Wir haben in der Stadt zwanzig verschiedene Verkehrssysteme, Transportbänder, Röhren, Walzen mit Fußbetrieb, in denen man sich abstrampelt. Neulich kam ich todmüde in der Versammlung an, weil die anderen siebzehn Systeme sich wieder mal verheddert hatten. Im Saal, wo dann die Reden losgingen, gelangten wir zu keiner Lösung des Verkehrsproblems. Zwar muß ich zugeben, daß hin und wieder jemand auf seinen Vorredner einging, aber gleichzeitig entwickelte er dessen Beitrag weiter. Er spielte damit. Variierte ihn. Nachher hatten wir lauter Variationen. Und nun wird es natürlich dahin kommen, daß alle Variationen verwirklicht werden. Leider sind wir ja alle gleichzeitig mit dieser hohen Durchsetzungskraft ausgerüstet worden.
    Nach der Versammlung ging ich mit meinem alten Freund Leo nach Hause. Merkwürdigerweise traf es sich, daß wir beide auf ein und denselben Fischsalat Appetit bekamen. Aber der Laden hatte sich schon wieder umfunktioniert. Er bot nur Pilze an, allerdings in vielen Zubereitungen, er hatte sogar Fliegenpilze, denen das Gift entzogen war. Unseren Fischsalat sollte es woanders geben, aber da war es unserer nicht mehr, er hatte fremdartige Nuancen, war rot statt lila und leuchtete im Dunkeln überhaupt nicht. Wir kamen mißgestimmt in Leos

Weitere Kostenlose Bücher