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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Bier zu trinken, verfolgen und blenden mich die Hilferufe.

    Stellen sofort ein:
    Frauen und Männer ohne Kreativität.
Ärztliche Bescheinigung erwünscht.
Partner für friedliches
phantasiefreies, vollkommen einfallsloses
Zusammenleben gesucht. Vorbedingung:
Interesse für nichts .

    Die Texte drehen sich als Feuerräder, Buchstaben streuen sich sternschnuppenartig aus und setzen sich zusammen, Bildwerbung kriecht über jede zweite Wand. Ein dickes Männchen in einem aufgepumpten Sessel, umgeben von kindischen Trickitrackiwackelbildern, von Naschi-Töpfchen und buntglasierten weiblichen Strukturen: so fein lebt Papi, weil er nachweisbar absolut phantasiefrei ist. Herr Filip Nostal fragte seinen Enkel, der auf dem Teppich Brennversuche unternahm, wobei er ohne irgendeine Vorlage ein kompliziertes Muster zu kokeln anfing: Gib ehrlich zu, du kannst dir auch nicht vorstellen, wie man es macht, ein Mensch ohne jede Phantasie zu sein. Aber du wirst mir zustimmen, so wie es gegenwärtig geht, kann es nicht weitergehen, die Katastrophe kündigt sich schon an.
    Der Enkel des Herrn Nostal sagte, ohne von seiner Arbeit aufzublicken: Dein Jammern kommt daher, daß du als Kind in anderen Verhältnissen gelebt hast. Nun stellst du dauernd Vergleiche an. Ich kenne nur die Schilderungen der Geschichtsbücher, denen mißtraue ich genauso wie deinen rührseligen Erzählungen, wie phantasielos dein Vater und dein Großvater gewesen sei und wie sie große Schwierigkeiten fürchteten, weil du das erste hochkreative und hochphantasiegeladene Kind in der Familie warst. Dann aber hätten sie sich doch gefreut. Du hättest dauernd etwas dynamisiert, etwas zerbastelt, sie hätten sich nicht mehr so stark gelangweilt. Natürlich hätte es auch Mißverständnisse gegeben, weil du beständig etwas umfunktioniertest und sie von manchen Funktionen eine einseitige Vorstellung besaßen, aber sie seien schließlich froh gewesen, daß sie die vorgeburtliche Genbehandlung hätten an dir durchführen lassen. Es machen alle, hätten sie gesagt. Wenn heute jeder hochphantasieausgerüstet ist, muß unser Sohn es auch sein. Wie soll er sonst im Leben weiterkommen? Sie seien traurig gewesen, daß eine Fa- und Cre-Behandlung bei ihnen nicht mehr machbar war. Ihre Phantasielosigkeit stempelte sie als alt, überholt, versteinert. Tatsächlich wurden sie bald in den Frührentnerstand versetzt. Aber du hast sie wie verrückt geliebt, ich weiß, ich weiß.
    Nie fiel den beiden etwas ein, sagte Herr Nostal, was mich ernsthaft gestört hätte. Mein Vater ließ sich jeden Morgen vom Straßenband zum Röhrenbahnsystem befördern. Es war das Straßenband 897. Er trat Punkt sieben Uhr dreißig direkt von unserer Haustür auf das Band, von hinten sah ich ihn davongleiten, und acht Minuten später glitt meine Mutter auch davon. Pünktlich um vier Uhr einundzwanzig nachmittags kamen sie wieder angeglitten. Niemals erzählten sie genau, wohin das Röhrenbahnsystem sie fuhr, sie sagten, zur Beschäftigung. Womit sie sich beschäftigten, erklären sie nicht näher. Ich merkte, daß es sie gar nicht interessierte. Es wäre taktlos gewesen, sie danach zu fragen. Bei meinen Großeltern verhielt es sich genauso. Daher konnte ich meine Phantasie und Kreativität auch voll betätigen. Der Enkel sagte, in diesen alten Büchern steht, daß früher unter phantasielosen Staatsmachern oder auch Eltern, Lehrern und solchen Unterdrückerpersönlichkeiten für Phantasiebesitzer das Leben furchtbar gewesen sei, sie seien dauernd in ihrer Kreativität total behindert worden, auch eingesperrt und sogar totgeschlagen, wenn sie sich nicht gleich selbst umbrachten.
    Das mag schon vorgekommen sein, sagte der alte Nostal, als Phantasie-Inhaber und Kreative noch selten auftraten, Zufallsprodukte waren, merkwürdige Bildungen der Natur, und daher von der Gesellschaft als regelwidrig empfunden wurden. Als ich geboren wurde, fing es gerade an, sich zu gehören, die Kinder vorgeburtlich mit Phantasie und Kreativität, mit Fa und Cre, auszurüsten. Und meine Eltern hörten mir geduldig zu, bestaunten, was ich zerbastelte, beschmierte, fanden es höchste Cre, wenn ich den Badewannenabfluß verlegte und in der Küche einen Springbrunnen tanzen ließ, selbst wenn dabei das Abendessen fortschwamm. Natürlich gingen ihnen auch mal die Nerven durch, zum Beispiel als ich neue Fenster konstruierte, durch die es dauernd zog, weil sie nur lose in den Rahmen hingen und wehten, wobei sie aber in sehr schönen

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