Der Utofant
Versager im versagens-wissenschaftlichen Sinn. Nur ganz wenige imponieren als Versager derart, daß sie zur Heilbehandlung zugelassen werden können.
Diese Behandlung besteht darin, amtlich anerkannte Versagerpersönlichkeiten mit einem Heilschiff in den Raum steigen zu lassen, damit sie sich dort in einer außergewöhnlich harten Situation bewähren können. Das kosmische Bewährungserlebnis soll ihr Selbstbewußtsein stärken und das irdische Versagenserlebnis aus ihrem Erinnerungsspeicher löschen. Zur Erde zurückgekehrt, sollen diese Persönlichkeiten ohne Versagensfurcht ihre früheren Aufgaben wieder erfüllen oder noch schwierigere übernehmen können. Vielleicht wird es eines Tages möglich sein, auch mittleren und sogar Kleinstversagern die Raumbewährung zu ermöglichen. Heute trägt die Sozialversicherung bereits 50 Prozent der Kosten, 50 Prozent werden vom Betrieb bezahlt, in dem der Kranke tätig war. Aber noch ist der Aufwand erschreckend hoch, die Kosten für den Bau des Heilschiffes, die Gehälter der spezialausgebildeten Besatzung werden zwar durch staatliche Subventionen aufgebracht, doch muß der Kranke Wäsche, Kleidung und, wie sich gezeigt hat, einen Teil der Nahrungsmittel selbst mitbringen, letzteres heimlich, da die sehr unschmackhafte langweilige Bordkost zum Heilprogramm gehört, dem sich der Kranke unbedingt zu fügen hat. Gelingt es ihm, die Vorschrift zu umgehen, beginnt vielleicht schon die Entwicklung seines neuen Selbstbewußtseins.
Die Warteliste der amtlich anerkannten Versager, die in den Raum wollen, ist dicker als ein Buch. Und die Versager wollen wirklich! Hier wird nicht etwa von einem Amt die Liste der einschlägigsten Versager aufgestellt, um diese nach der verstaubten Redeweise »auf den Mond zu schießen«.
Nach einem menschlich auslotenden Gespräch mit einem Mitarbeiter des Instituts für Versagensforschung melden sich die Versager spontan freiwillig. Das Gros der aufsteigenden Versager kommt zur Zeit weniger aus den Kreisen der Bevölkerung, die die zentralen Programme abarbeiten oder abarbeiten lassen, sondern aus Kreisen, wo ein gewisses Maß an Produktivität, selbsttätigem Denken, Erfindungsgeist, Dynamik und manchmal auch an normaler ordentlicher Arbeit gefordert wird. Dort zeigen sich versagerische Symptome am häufigsten und krassesten. Hohe Versagerpersönlichkeiten oder Gruppen von Versagern, die über ein eigenes Heilschiff verfügen könnten, beeinflussen die Statistik nicht, sie gelten offiziell nicht als Versager und sehen sich selbst nicht als solche. Chefs von Regierungen, Wirtschaftskommandeure, Weltverwaltungsfunktionäre der höheren Kategorien sind bisher nicht mit Heilschiffen in den Raum gestiegen, obwohl sie es sich leisten könnten.
Interessieren dürfte, daß auf den Wartelisten mehr Versager als Versagerinnen stehen. Frauen erleben anscheinend immer weniger das Gefühl, zu versagen oder versagt zu haben. Das mag an ihrer Klugheit liegen, sich gar nicht erst in Situati onen zu begeben, die ein Versagen provozieren könnten. Die meisten Frauen wissen heute nicht, was ein Versagen ist. Wie macht man das: versagen, wo kriegt man das gelehrt? Erklärt man einer Frau, daß sie versagt hat, beantragt sie nur selten eine Heilbehandlung. Sie nimmt die Krankheit nicht so wichtig. Gesunde Frauen simulieren manchmal ein Versagen, um eine Raumfahrt auf Staatskosten zu erlangen, der Psychologe nennt diese Haltung »abnormes Raumreisebegehren«. Ernstlich versagen die meisten Frauen so gut wie nie. Sie sind ja traditionsgemäß viel weniger empfindlich und jammern weniger über Krankheiten als Männer. Auch daran mag es liegen, daß die Versagenskrankheit sie nicht so oft befällt.
Nehmen wir die Besatzung unserer Heilrakete SANI 7, mit der wir gestern aufgestiegen sind, nehmen wir mich: Steige ich als Versagerin ins All? Will ich geheilt werden? O nein. Ich will Recherchen über Versagensforschung und die Raumheilmethode anstellen, amtlich bestätigte Versager interviewen, um daraus möglichst schnell ein nicht zu dickes Buch zu machen. Die Raumschiffkommandantin (Norine Nord), die Kopilotin (Carlina Meier), Raum-Info-Koordinatorin (Yvonne Pump), die Psychologin (Dr. Friedlinde Freund), die Psychoschwestern, Bewährungstherapeutinnen, die Elektroniker und sonstigen Versorgungskräfte reisen alle nicht wegen versagerischer Eigenschaften mit, die sie im Kosmos überwinden sollen, sie arbeiten hier, schlicht gesagt. Insgesamt sind wir fünfundzwanzig
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