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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Beschäftigte, und alles Frauen. Die Zahl der amtlichen Versager, die sich an Bord befinden, beträgt nur fünf. Alle sind männlichen Geschlechts.

    2

    Die fesselndste Versagerpersönlichkeit scheint hier an Bord Emil Erasmus K. zu sein. Die anderen vier Versager enttäuschten mich auf den ersten Blick, der eine könnte sein Gesicht für ein Plakat »Ich bin gesund, weil ich nur kybernetisch stoffwechsele« vermieten, er sieht nicht aus, als würde sein Versagen ihn im geringsten irritieren. Der andere, ein arroganter Fransenkopf, brünett-lackiert, fletscht ohne Hemmung Zähne, die sogar echt erscheinen. Beide sind altjung, vorvorletzte Phase, straffschlaff, man merkt, daß sie seit Jahren Aufrüttler zu sich nehmen. Wer nimmt die aber nicht?
    Die anderen beiden, Glatzköpfe in der ersten noch aufhaltbaren Abstiegsphase, tragen bedeutende Physiognomien, sie blicken um sich, als wäre die Raumheilmethode von ihnen selbst erfunden worden, und sie reisten nur mit, um sich an ihrer Wirksamkeit zu laben. Ich möchte wissen, wer diesen harmlosen Figuren die Anträge genehmigt hat.
    Aber Emil Erasmus K. braucht nicht einmal den amtlichen Versagerausweis vorzuzeigen, so sehr flößt er von Anfang an Vertrauen ein. Kurz vor dem Abschuß, als sich die Klappe schloß und die vier anderen Versager stumpf in den Sesseln hockten, als sei ihr Abzisch ins Totenreich gesichert, stemmte K. sich verzweifelt gegen die Spezialtür und hielt sie vielleicht eine tausendstel Sekunde länger offen, als ihr Programm es vorsah. Sinnlos, idiotisch, gemeingefährlich, wenn man bedenkt, daß er womöglich die Elektronik durcheinanderbrachte, wodurch sich plötzlich, mitten auf der Reise, die Klappe lockern und schließlich öffnen könnte und vielleicht ständig sperren und Weltraumleerluft einlassen würde. Was hatte K. davon, wenn er den unabänderlichen Klappenschluß um eine tausendstel Sekunde verzögerte?
    Nun, immerhin war das die Zeit, die meine Halsbandkamera gebraucht hatte, um dieses Bild von ihm zu schießen, wie er die Tür aufstemmen will, ein Dünnmann, dessen Halssehnen zu zerreißen drohen und dessen bläßlichgraue Augen wie Murmeln aus den Höhlen treten. Das Bild des absolut Verzweifelten, des total Hoffnungslosen, der freiwillig den Einschluß wünschte, im letzten Augenblick jedoch, von jeglicher Moral verlassen, dem primitivsten Freiheitsdrang zum Opfer fällt und dabei selbstverständlich, mein zweites Foto zeigt es, versagen muß. Emil Erasmus hat die Arme sinken lassen, sein Kinn hängt auf der Brust, alles an diesem elenden Versager scheint zu hängen, vielleicht erkennt er selbst, daß schon der Wunsch, die Klappe aufzuhalten, Versagen war.
    Bis zum Einlenken der Rakete in ihre vorgeschriebene Heilbahn verhielt er sich sprachlos, aß nicht, schlief nicht und zuckte nicht, wenn ich ihn betrachtete: eine Puppe zum Simulieren wissenschaftlich-technischer Vorgänge mit menschlicher Beteiligung, nachlässig angemalt in grauen Tönen, gräuliche Haare auf den Kopf gemalt, und Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich, fertig ist das Pappgesicht, noch Segelohren drangeklebt, den Hals, als wäre der defekt und könnte brechen, mehrfach mit einem grauen Schal umwickelt, den Rest in einen Schlotteranzug vom Billigautomaten eingetütet, Schuhe vom Leichenschuhhaus, Sonderangebot, die Brille aus dem Feinmüll, verbogen und mit nur einem Glas.

    3

    Jeder Versagerpatient bekomme natürlich sein individuelles Heilprogramm, sagte mir Dr. Friedlinde Freund, Psychologin beim Institut für Versagensforschung, die in Zusammenarbeit mit der Weltraumverkehrsverwaltung errechnete Bahn sei präzise festgelegt, sie sei total sicher, Gefahrenmomente könnten nach wissenschaftlicher Voraussicht nicht auftreten, keinem der Raumpatienten könne ernsthaft etwas zustoßen, die außergewöhnlichen Situationen, die ihnen hier oben verabreicht werden, seien sämtlich auf Sicherheit geprüft.
    Wir wenden nicht jede Situation auf jeden an, im allgemeinen handelt es sich um kollektive Gefahren, die wir auftauchen lassen, unser Raumschiff kommt plötzlich vom Kurs ab, das kann auf den elektronischen Apparaten von unseren Patienten nachgeprüft werden, stimmt aber nicht; das Schiff wird, wie Lichterscheinungen auf dem Bildschirm zeigen, von fiktiven Insassen einer feindlichen Raumstation bedroht; das Schiff beginnt heißzulaufen; die Sauerstoffversorgung droht auszufallen; eine lebensgefährliche Havarie tritt auf, ein Patient muß es wagen, notwendige

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