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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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manchmal dauerte es bis in die frühen Morgenstunden, bis die lautstärkeren Streitigkeiten zwischen den Beefeatern begraben waren. Nicht dass sie es blieben. Oft wurden die streitenden Parteien auch noch angestachelt, das Kriegsbeil wieder auszugraben.
    Er bog in die Water Lane ein. Das Kopfsteinpflaster unter seinen nackten Füßen war glitschig vom welken Laub. Als er sich dem Wakefield Tower näherte, dachte er an die widerwärtigen Raben, die in ihren Käfigen im Schatten des Turms schliefen. Ihre Luxusbehausungen mit fließend Wasser, Fußbodenheizung und täglich frischem Eichhörnchenfleisch auf Steuerzahlerkosten waren ein stetes Ärgernis für ihn, seit er das wahre Ausmaß ihrer Bösartigkeit entdeckt hatte.
    Seine Frau hatte, als die Familie in den Tower gezogen war, spontan Abneigung gegen die Vögel empfunden. »Sie schmecken nach Leichentüchern«, hatte sie erklärt, denn sie behauptete von sich, dass sie mit Ausnahme der vermeintlich unheilträchtigen Pfauen die meisten Tierarten irgendwann schon einmal gegessen hatte.
    Bei Balthazar Jones dagegen hatten die Raben sofort eine gewisse Neugier geweckt. In der ersten Woche saß einer auf der Holztreppe am Eingang des White Towers, den Wilhelm der Eroberer gebaut hatte, um sich gegen die verschlagenen Engländer zu schützen. Der Beefeater näherte sich dem Tier, und während es ihn beäugte, bewunderte er die tausend Farben, in denen die ölig schwarzen Federn im Sonnenlicht schillerten. Nicht minder beeindruckt war er, als der Rabenmeister – der mit der Beaufsichtigung der Raben betraute Beefeater – die Kreatur beim Namen rief und diese torkelnd zu Füßen des Mannes landete. Denn um sie an der Flucht zu hindern, hatte man den Tieren die Flügel gestutzt. Und als Balthazar Jones entdeckte, dass die Raben eine Vorliebe für blutgetränkte Kekse hatten, tat er alles, um sie zum Frühstück mit dieser Delikatesse zu versorgen.
    Ein paar Tage später schrie der damals sechsjährige Milo nach seinem Vater und zeigte auf einen Raben, der sich auf Mrs. Cook, der legendären Familienschildkröte, niedergelassen hatte. Alle Sympathien waren mit einem Schlag verschwunden. Nicht nur, dass es äußerst unhöflich war, sich eine Mitreisegelegenheit zu erschleichen, und sei es auch nur eine denkbar gemächliche. Oder dass der Vogel soeben ein nicht unbeträchtliches flüssiges Exkrement auf dem Haustier hinterlassen hatte. Was den Beefeater in einen Zustand der Raserei versetzte, war vielmehr, dass der Rabe mit seinem teuflischen Schnabel an Mrs. Cooks Weichteilen herumpickte und die Schildkröte, die bereits einhunderteinundachtzig Jahre alt war, eine ganze Weile brauchte, bis sie Kopf und Glieder in ihren abgewetzten Panzer einziehen und sich vor dem hinterhältigen Angriff schützen konnte.
    Es handelte sich keineswegs um einen einmaligen Zwischenfall. Einige Zeit später sah Balthazar Jones, dass sich die Raben vor dem Salt Tower, in dem einst Salpeter gelagert worden war, unbestreitbar zu einer Angriffsformation zusammengerottet hatten. Einer der Vögel hockte auf der roten Telefonzelle, drei standen auf einer Kanone, ein anderer lungerte auf den Überresten einer römischen Mauer herum, und zwei saßen auf dem Dach der neuen Waffenkammer. Ein paar Tage ging das so, da Mrs. Cook eine Weile brauchte, um ihre neue Unterkunft zu erkunden. Sobald sie aber für einen Ortswechsel bereit war und ein verschrumpeltes Bein vor die Haustür setzte, rückten die Raben allesamt einen Hüpfer näher. Sie legten eine bemerkenswerte Geduld an den Tag, denn es dauerte ein paar Stunden, bis sich Mrs. Cook hinreichend weit zur Tür hinausgeschoben hatte, um einen zweiten Hüpfer zu rechtfertigen. Für das, was dann geschah, machte der Rabenmeister die Tatsache verantwortlich, dass die Mittagsfütterung schon eine Weile her gewesen war. Balthazar Jones hingegen beharrte darauf, dass das skandalöse Verhalten der Vögel nicht nur damit zu tun habe, dass der Teufel in ihnen stecke, sondern auch mit der Art und Weise, wie sie aufgezogen worden waren. Dieser Vorwurf saß und sollte nie wieder in Vergessenheit geraten. Was auch immer der Grund sein mochte, eines war sicher: Am späten Nachmittag hatte Mrs. Cook, die älteste Schildkröte der Welt, keinen Schwanz mehr, und einer der Raben war zu satt fürs Abendessen.
    Als Balthazar Jones am Wakefield Tower vorbeikam, schien das Geräusch, mit dem die Themse ans Ufer schwappte, lauter als sonst durch das Verrätertor zu dringen. Er

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