Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Scherben kobaltblauen Glases lag in meiner Nähe. Ich hob ihn auf und bewegte mich mit einer feierlichen Bedächtigkeit, während ich über die nächsten paar Sekunden hinauszudenken versuchte.
Diese Macht, die Choybalsan jetzt zu einem Gott machte, war ursprünglich dem Volk der Tanzmistress entrissen worden. Es war eine Macht der Wälder und Wiesen und des Zyklus des Lebens der Welt.
Der Herzog hatte die Macht als Nächster besessen. Um mit den Worten des Faktors zu sprechen: Der Herzog sah sich als Bewahrer, sogar als Erneuerer. Er hatte nie Blitze vom Himmel geholt oder einen Krieg begonnen, wozu Choybalsan nur allzu bereit zu sein schien.
Dann hatte ich ihm die Macht genommen und freigesetzt. Es war eine grausame Kraft – die Genetten jagten und hatten einst Krieg geführt; der Herzog war auf seine Weise skrupellos gewesen – aber das war die Grausamkeit der natürlichen Welt. Im Gegensatz zu Choybalsans bewusstem Einsatz von Hetze und Verrat. Selbst der Herzog war mehr ein Bauer gewesen, der Unkraut und Schädlinge von seinen Früchten fernhielt.
Geduld. Die Welt war geduldig.
Ich schnitt mit dem Glas erneut in meinen linken Unterarm, vorsichtig, um nicht eine Ader zu durchtrennen. Als das Blut zu fließen begann, warf ich die glänzende Scherbe fort und nahm meine kleine hölzerne Glocke. Ich hielt sie diesmal ganz oben und ließ die Klöppel schwingen, während das Blut auf die Steine tropfte. Die Schläge der Glocke hallten wie zuvor im Untergrund.
Göttin, betete ich, sende den niedersten Deiner Diener zu mir. Ich opfere mein eigenes Blut und damit auch etwas von dem Blut des Kindes in mir, sodass dieser letzte Teil der göttlichen Macht, die nie mir gehörte, aus meinem Körper und in Deinen Diener fließen kann.
Die Götter an diesem Ort waren im Schlaf oder kaum erwacht, aber ich wusste, dass die Liliengöttin jenseits des Meeres im Vollbesitz ihrer Kräfte war. Wie groß oder klein Sie im Vergleich mit Choybalsan auch sein mochte, Sie wachte über mich.
Ich läutete die Glocke eine Weile, doch nichts geschah. Kein Lichtblitz, kein Knarren des Rades, keine Erscheinung auf der Straße. Da war nur ich, ein dummes Mädchen mit einer hölzernen, kleinen Glocke, die ich schließlich fallen ließ.
»Danke für dein Opfer«, sagte Choybalsan. Selbst die Götter konnten sarkastisch sein. Er beugte sich nieder, um seine verbrannten Finger in das Blut zu tauchen.
Und da fiel mir auf, dass die Glocke noch schlug.
Auch der Gott vernahm es. Er blickte auf meine Glocke am Boden. Er blickte an mir vorbei. Etwas änderte sich in seiner Haltung.
Ich umklammerte die Wunde an meinem Arm und wandte mich um.
Ausdauer kam langsam die Roggenstraße herab. Obgleich ich wusste, dass er tot war, schritt er langsam auf mich zu, so wie ich es aus meinen Kindertagen in Erinnerung hatte. Seine Glocke, seine richtige Glocke, schlug im Rhythmus seiner Schritte.
Großmutter ritt auf seinem Rücken. Sie war in ihre Glöckchenseide gehüllt. Nur dass meine Großmutter nicht so groß gewesen war.
Ich blickte genauer hin und entdeckte einen Schwanz, der unter der Seide hervorhing.
Die Tanzmistress.
Ich öffnete den Mund zu einem erleichterten Ausruf, schloss ihn jedoch wieder. Genetten strömten aus den Gassen und Seitenstraßen und sammelten sich hinter ihr – mehr, als ich je gesehen hatte. Eine große Zahl.
Die drei, die mit mir gekämpft hatten – der Rektifizierer, der Tavernenwirt und die braune Frau – kamen aus ihren Verstecken heraus und traten rasch an die Seite des Ochsen. Chowdry folgte ihnen, wahrscheinlich angezogen von dem vertrauten Kleidungsstück, das meine Lehrerin trug.
Was hatte sie getan?
Was hatte ich getan?
Die Blitze erloschen. Choybalsan stand hoch aufgerichtet neben mir, als wir beide dem Geschehen entgegenblickten. Die Tanzmistress legte ihre Glöckchenseide ab. Ich sah, dass es nicht die Seide meiner Großmutter war, dass ich sie nur dafür gehalten hatte, weil die Frau auf dem Ochsen ritt. Die Augen Ausdauers leuchteten, als er mir seinen Kopf zuwandte. Er schüttelte die Glocke erneut, aber er wollte mich nicht zu sich rufen.
Sie reichte Chowdry die Seide. Obgleich es schien, dass er nur einen Arm bewegen konnte, nahm er den Stoff und hielt ihn an sich gedrückt, so gut er es vermochte, bevor er mir einen langen, bittenden Blick zuwarf.
»Federo«, sagte die Tanzmistress.
»Choybalsan«, berichtigte er sie.
Sie rutschte vom Rücken des Ochsen und schritt auf uns zu. »Du hast
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