Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
den Feldern meines Vaters getan hatte. Direkt vor seinen Vorderbeinen herrschte ein Durcheinander von Funken und Flammen und Fell und Krallen. Genetten explodierten – von Blitzen getroffen – und Fleisch und Blut und Fell spritzten in alle Richtungen.
Meine Augen wurden von dem Licht geblendet, so wie meine Ohren taub vom Lärm waren. Ich hielt die Hände über meine Brauen und versuchte, nur auf Füße zu blicken.
Das war schlimm genug. Sie krallten, kämpften, trampelten. Die großen muskulösen Beine von Hautlos kamen kurz in mein Blickfeld. Blitze spiegelten sich in den Blutflecken auf dem Pflaster. Mein ganzer Körper war wund von den elektrischen Entladungen und dem Druck der gepeinigten Luft.
Dann war Stille. Die Blitze hatten aufgehört, alles andere ebenso. Selbst taub wie ich war, konnte ich erkennen, dass sich Stille herabgesenkt hatte. Ich kroch hinter dem Ochsen hervor und stützte mich auf seine Flanke, als ich aufstand.
Ein Blutbad. Überall tote Genetten. Hautlos lag zerschmettert, reglos wie das Studienobjekt eines Anatomen. Nur Ausdauer und ich standen.
Die Tanzmistress lag vor mir mit Federo in den Armen. Sie hatte seinen Kopf so lange auf das Pflaster zu schlagen vermocht, bis sein Bewusstsein schwand. Mit dem Ende seiner Gedanken hatten auch die Blitze aufgehört.
Es war nur Federo. Alles Göttliche war verschwunden.
Der Rektifizierer kam auf mich zu. Er hatte ein schmales Steinmesser in der Hand. Ich sah die Bewegung seines dreieckigen Mundes, als er etwas sagte, das ich noch nicht hören konnte. Dann beugte er sich hinab, um Federo die Finger abzuschneiden.
Ich warf mich ihm entgegen und rutschte in einer Blutlache aus. Obwohl mein Angriff ungeplant und er viel größer war, rammte ich in die Seite seines Beines, dass er zwei Schritte von Federo zurückstolperte, bevor er den Toten verstümmeln konnte.
Er wirbelte mit der Klinge herum, verhielt aber im Stoß, als er sah, wer der Angreifer war. Der Rektifizierer beugte sich mit schlenkernden Fingerknöcheln im Fell herab und stellte eine Frage. Dieses Mal hörte ich seine Stimme wie durch eine lange hohle Röhre. Ich deutete auf meine Ohren und versuchte zu sagen: »Lass sie in Ruhe. Ich kümmere mich um sie.«
Der Rektifizierer wollte nicht nachgeben, aber dann nickte er zu Federo hin. Was er meinte, war klar. Dann geh du zuerst und viel Glück.
Ich blickte zu Ausdauer und trat dann zu meinen beiden Gefallenen. Die Tanzmistress atmete noch, doch ihre Ohren waren abgerissen und ihr Gesicht war vollkommen verbrannt. An Federo konnte ich keinen Atem mehr feststellen.
Der Gott hatte ihn eindeutig verlassen. Wo war Choybalsan? In diesem Moment war es mir egal.
Ich kniete neben ihnen nieder. Tränen waren in meinen Augen beim Anblick ihrer Wunden. Es war, als fänden wir alle nur noch Blut und Gewalt auf unserem Pfad.
Ausdauers Kopfschütteln und der Klang seiner Glocke brachten mich zurück. Ich wandte mich um, und als ich den ersten Freund meines Lebens ansah, wusste ich, wohin der Gott gegangen war.
Der Ochse war umgeben von den Avataren und Sendlingen aus dem Untergrund. Blitze zuckten in Ausdauers Augen und enthüllten einen kurzen wissenden Blick, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Geduld. Ich hatte einen Gott der Geduld gerufen. Der keine Stimme hatte, um Armeen zu sammeln und Priester aufzuwiegeln. Der keine Hände hatte, um Blitze vom Himmel zu holen. Der ruhig dastehen und über den zornigen Geist in ihm wachen konnte. Jahrhunderte menschlicher Macht und genettischen Verlusts reduziert auf das Rumoren der Verdauung eines Wiederkäuers.
Ich hatte die größte Bedrohung seit Generationen in eine Tulpa verbannt, die aus dem Ochsen meines Vaters entstanden war.
Und besser noch, ich hatte keine Götter getötet.
Lachen brach sich in mir Bahn. Es schäumte wie die Flut durch Felsen, spülte durch jeden Teil meines Körpers, meiner Seele, meiner Stimme. Ich sank neben der Tanzmistress und Federo nieder, als die Gischt zu Tränen wurde. Dies konnte es doch nicht sein, was die Göttin für mich, für uns alle, beabsichtigt hatte.
Ich setzte mich auf das Straßenpflaster und weinte. Mein Herz strömte hinaus in die Welt, Träne um Träne, Schluchzen um Schluchzen, und ließ nichts in meiner Brust zurück, außer einem hohlen Schlagen. Schließlich blickte ich auf die Tanzmistress. Ihre Augen waren jetzt offen. Das linke war verschleiert vom Feuer der Blitze, die ihr Gesicht gezeichnet hatten. Das rechte sah mich mit einer
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