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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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wahr, Denglarde?«
    »Absolut wahr, so geschehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.«
    »Das ist völlig normal«, meinte Estalère, der seine Worte wie seine Gedanken häufig schlecht wählte. »Ich weiß von einem Mann, der ein Flugzeug gegessen hat, und er hat nur ein Jahr dafür gebraucht. Ein kleines Flugzeug.«
    Radstock nickte ernst. Adamsberg hatte an ihm einen Hang zu feierlichen Darlegungen beobachtet. Er bildete mitunter sehr lange Sätze, die – nach ihrem Tonfall zu urteilen – von der Menschheit handelten und wie es um sie stand, vom Guten und vom Bösen, vom Engel und vom Dämon.
    »Es gibt Dinge«, sagte Radstock, und Danglard übersetzte simultan, »die der Mensch sich nicht vorstellen kann, solange ein anderer Mensch nicht auf die ausgefallene Idee kommt, sie zu verwirklichen. Aber wenn diese Sache, ob gut oder schlecht, erst einmal ausgeführt ist, findet sie Eingang in das Gemeingut der Menschheit. Wird verwendbar, wiederholbar und sogar überbietbar. Der Mensch, der den Schrank gegessen hat, eröffnet einem anderen die Möglichkeit, ein Flugzeug zu essen. So enthüllt sich mit der Zeit der große, unbekannte Kontinent des Irrsinns wie eine geographische Karte, die in dem Maße Gestalt annimmt, wie das Land erforscht wird. Wir schreiten in ihm ohne jede Sicht voran, allein auf die Erfahrung gestützt, das habe ich meinen Jungs immer wieder gesagt. So ist Lord Clyde-Fox gerade dabei, seine Schuhe aus- und wieder anzuziehen, das macht er nun schon wer weiß wie viele Male. Und keiner weiß, warum. Wenn man es erst herausbekommen hat, kann jemand anders dasselbe tun.«
    »He, Clyde-Fox!«, rief der alte Polizist und ging auf ihn zu. »Irgendein Problem?«
    »He, Radstock!«, erwiderte der Lord mit sehr sanfter Stimme.
    Die beiden Männer begrüßten sich mit einem vertrauten Zeichen, zwei Nachtvögel, Experten alle beide, die nichts voreinander zu verbergen hatten. Clyde-Fox setzte einen bestrumpften Fuß auf das Trottoir, den Schuh in der Hand, dessen Inneres er aufmerksam inspizierte.
    »Ein Problem?«, wiederholte Radstock.
    »Ein verdammtes Problem. Schauen Sie sich’s an, wenn Sie den Mut dazu haben.«
    »Wo?«
    »Am Eingang des alten Friedhofs von Highgate.«
    »Ich mag es nicht, wenn man dort herumschnüffelt«, knurrte Radstock. »Was hatten Sie dort zu suchen?«
    »Eine Grenzerforschung in Gesellschaft auserwählter Freunde«, sagte der Lord und wies mit dem Daumen auf seinen Gefährten mit der Zigarre. »Zwischen Schrecken und Vernunft. Ich kenne den Ort in- und auswendig, er aber wollte das mal erleben. Aber Achtung«, fügte Clyde-Fox etwas leiser hinzu. »Der Kamerad ist voll bis zur Halskrause und flink wie ein Elf. Schon im Pub zwei Kerle niedergemacht. Er ist Lehrer für kubanischen Tanz. Nervöser Typ. Nicht von hier.«
    Lord Clyde-Fox schüttelte wieder einmal seinen Schuh in der Luft, schlüpfte hinein und zog den anderen aus.
    »Okay, Clyde-Fox. Aber Ihre Schuhe? Schütteln Sie die aus?«
    »Nein, Radstock, ich kontrolliere sie.«
    Der Mann aus Kuba rief einen Satz auf Spanisch, der zu besagen schien, dass er nun genug hätte und abhauen würde. Der Lord machte ihm mit der Hand ein achtloses Zeichen.
    »Was kann man«, begann Clyde-Fox wieder, »Ihrer Meinung nach in Schuhe hineintun?«
    »Füße«, schaltete Estalère sich ein.
    »Genau«, sagte Clyde-Fox und sandte dem jungen Brigadier einen beifälligen Blick. »Und besser, Sie überprüfen, ob Ihre eigenen Füße in Ihren eigenen Schuhen stecken. Radstock, wenn Sie mir mit der Taschenlampe leuchten würden, könnte ich damit vielleicht mal fertig werden.«
    »Was soll ich Ihnen denn sagen?«
    »Ob Sie was drin sehen.«
    Während Clyde-Fox seine Schuhe hochhielt, untersuchte Radstock gewissenhaft deren Inneres. Adamsberg, den man vergessen hatte, lief mit langsamen Schritten um sie herum. Er stellte sich den Kerl vor, der über Monate hinweg Stück für Stück seinen Schrank zerkaute. Er fragte sich, ob er selber lieber einen Schrank oder ein Flugzeug oder die Fotos seiner Mutter verspeisen würde. Oder etwas ganz anderes. Etwas, das dem unbekannten Kontinent des Irrsinns, von dem der Kommissar gesprochen hatte, ein neues Stück hinzuzeichnen würde.
    »Nichts drin«, sagte Radstock.
    »Sind Sie ganz sicher?«
    »Ja.«
    »Gut«, sagte Clyde-Fox und zog sich die Schuhe wieder an. »Üble Geschichte. Tun Sie Ihren Job, Radstock, sehen Sie sich das an. Gleich am Eingang. Da steht ein Haufen alter Schuhe auf dem Trottoir. Seien Sie

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