Der verbotene Ort
Bleistiftspäne und die kleine Patronenhülse unterm Kühlschrank freundlicherweise verschwunden sind. Meine Freiheit feiern, Mordent.«
Der Arm des Commandant bewegte sich kaum unter Adamsbergs Fingern. Ein alter Graureiher am Ende seiner Kräfte. Adamsberg setzte ihn zwischen sie beide, wie man ein Bündel abstellt. Sicherung S3 herausgeflogen, dachte er, hochgradiger psychoemotionaler Schock, Handlungsblockade. Und kein Dr. Josselin in Sicht, der ihn reparieren könnte. Mit dem Abgang des Nachfahren von Arnold Paole hatte die Medizin einen ihrer Großen verloren.
»Es ist aus, nicht wahr?«, murmelte Mordent. »Das war klar«, fügte er hinzu, seine grauen Haarsträhnen zurückstreichend und seinen Hals aus dem Hemd schiebend mit jener typischen Bewegung eines Schreitvogels, die nur er beherrschte.
»Aus, ja. Aber ein weise aufgeworfener Deich wird die Schlammlawine an den Pforten des Gerichts von Gavernan zum Stehen bringen. Jenseits davon wird von Verrat nichts mehr zu erkennen sein, nur jungfräuliches Land. Niemand in der Brigade weiß davon, Ihr Platz ist vakant. Entscheiden Sie selbst. Emma Carnot dagegen wird auffliegen. Erhielten Sie Ihre Befehle direkt von ihr?«
Mordent nickte.
»Auf einem besonderen Telefon?«
»Ja.«
»Wo ist es?«
»Gestern Abend zerstört.«
»Sehr gut. Versuchen Sie nicht, Mordent, ihr zu Hilfe zu eilen, um sich zu schützen. Sie hat eine Frau umgebracht, sie hat auf Émile schießen lassen, danach versucht, ihn zu vergiften. Und sie war dabei, ihren letzten Trauzeugen abzuknallen.«
Umsichtig wie immer, hatte Danglard ein weiteres Bier kommen lassen, das er vor Mordent hinstellte. Mit ebenso gebieterischer Geste, wie Adamsbergs Griff es war, und sie bedeutete: Trink.
»Kommen Sie auch nicht etwa auf den Gedanken, sich umzubringen«, fügte der Kommissar hinzu. »Das wäre Blödsinn, wie Danglard sagen würde, jetzt, wo Élaine Sie braucht.«
Adamsberg stand auf. Wenige Meter entfernt floss die Seine, sie floss zum Meer, das Meer nach Amerika, Amerika zum Pazifik, und kam hierher zurück.
»Vratiću se« , sagte er, »ich geh ein paar Schritte.«
»Was sagt er?«, fragte Mordent überrascht, für einen Augenblick zur Normalität zurückgekehrt, was Danglard als ein gutes Zeichen erschien.
»Das ist ein kleines Stück der vampiri von Kisilova, das ihm im Körper stecken geblieben ist. Aber das wird auch noch herauskommen. Oder nicht. Bei ihm weiß man das nie.«
Adamsberg kam nachdenklich zu ihnen zurück.
»Danglard, Sie haben es mir schon einmal gesagt, aber ich habe es wieder vergessen. Wo entspringt die Seine?«
»Auf dem Plateau von Langres.«
»Nicht am Mont Gerbier-de-Jonc?«
»Nein, das ist die Loire.«
» Hvala , Danglard.«
Was »Danke« bedeutete, erklärte Danglard Mordent. Adamsberg ging wiegenden Schritts zum Fluss zurück, mit einem Finger seine über die Schulter geworfene Jacke haltend. Mordent nahm unbeholfen sein Glas, wie einer, der nicht weiß, ob er noch das Recht dazu hat, hob es zögernd zu Adamsberg in der Ferne, dann zu Danglard ihm gegenüber.
»Hvala«, sagte er.
50
Adamsberg lief über eine Stunde den Quai auf der Sonnenseite entlang, hörte den Möwen zu, wie sie auf Französisch schrien, in der Hand sein Telefon, auf den Anruf aus London wartend, der um 14 Uhr 15 kam, wie Stock ihm versprochen hatte. Das Gespräch war sehr kurz, Adamsberg hatte dem Superintendent Radstock eine einzige Frage gestellt, auf die er nur mit »Ja« oder »Nein« zu antworten brauchte.
»Yes«, sagte Radstock, und Adamsberg dankte und legte wieder auf. Er zögerte einen Moment, dann wählte er die Nummer von Estalère. Der Brigadier wäre der Einzige, der ihm weder mit einem Kommentar noch mit einer Kritik kommen würde.
»Estalère, fahren Sie zu Josselin ins Krankenhaus, ich habe eine Nachricht für ihn.«
»Ja, Kommissar. Ich notiere.«
»Sagen Sie ihm, der Baum von Hampstead Hill ist tot.«
»Hampstead Hill, die Anhöhe von Highgate?«
»Genau.«
»Sonst nichts?«
»Nein.«
»Wird gemacht, Kommissar.«
Adamsberg ging langsam den Boulevard hinauf und stellte sich vor, wie in Kiseljevo die Baumstümpfe um das Grab verfaulten.
Wo werden sie wieder wachsen, Peter?
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