023 - Der Satan schickt die Höllenbrut
Die dunkle
Gestalt drückte leise das Balkonfenster auf und gelangte mit einem federnden
Sprung in das düstere Zimmer. Der Unbekannte roch das exotische Parfüm, das
jedem Möbelstück, jedem Kleid zu entweichen schien. Auf dem Toilettentisch
stand ein frisch gefüllter Flakon, in einem länglichen Behälter lagen
Lippenstifte. Der Eindringling ging zur Zimmertür und legte lauschend das Ohr
daran. Leise Musik und ein Gewirr von Stimmen drang aus dem unten gelegenen
Barraum. An der Ecke der Straße blinkte in regelmäßigen Abständen eine
giftgrüne Neonröhre, deren Licht wie der Blitz einer Fotolampe den düsteren
Raum in eine helle und eine dunkle Hälfte teilte.
Die
schattengleiche Gestalt bewegte sich zum Kleiderschrank. An einem Haken hing
ein buntes, hauchdünnes Negligé.
Der Fremde
zog aus der Manteltasche eine schmale, hohe Sprühdose. Ein zischendes Geräusch
erklang. Aus dem winzigen Ventil strömte Gas, vermischt mit einer geruchlosen
Flüssigkeit, die in Form mikroskopisch kleiner Tröpfchen auf dem hauchdünnen
Gewebe des Negligés zurückblieb.
Das giftgrüne
Neonlicht blinkte wieder auf, und diesmal stand der Eindringling in einem
solchen Winkel, daß die Leuchtschrift sein Gesicht aus dem Dunkel riß. Es war
ein Chinese mit schmalen Augen und harten Gesichtszügen.
Der Mann
bestrich mit dem Spray das gesamte Negligé, steckte dann die Dose in die
Manteltasche zurück und schlich zum Balkon. Er zog die Tür wieder bei, ließ sie
nur spaltbreit geöffnet, und alles war wieder so wie zuvor. Nichts wies auf
eine Veränderung hin, und doch war ein ungeheuerliches Verbrechen eingeleitet
worden…
●
Betsy ging
die Treppen hoch. Sie trug nur einen schwarzen BH und einen knappen Slip. Sie
kam geradewegs von einem Auftritt unten in der Bar.
Ihr langes,
blondes Haar war zu Zöpfen zusammengebunden, die frech an der Seite
herunterhingen.
Betsy war
hübsch und eine Frau, die einen Mann begeistern konnte. Sie hatte die Gestalt
einer Göttin und verführerischen Charme.
Betsy lebte
seit einem Jahr in Hongkong. Die Menschen hier und die Stadt faszinierten sie.
Sie trat seit
Anbeginn im Goldenen Drachen als Stripteasetänzerin auf.
Sie erreichte
die oberste Treppenstufe gerade in dem Moment, als unten, ein Stockwerk tiefer,
die Hintertür zur Bar aufging und zwei Betrunkene auf den Korridor
hinaustorkelten.
Ein schmaler,
schwacher Lichtstreifen fiel auf den untersten Treppenabsatz.
Betsy huschte
auf Zehenspitzen zu ihrer Zimmertür, schloß sie auf und ging in den düsteren
Raum. Der giftgrüne Schein einer Lichtreklame zuckte in regelmäßigen Abständen
über die linke Wandseite und riß den unförmigen Koloß von Kleiderschrank aus
dem Dunkel.
Betsy schloß
hinter sich ab.
Wenige
Minuten vor ihrem Auftritt hatte sie das Päckchen bekommen. Ein unbekannter Gast
hatte es ihr heimlich zugesteckt. Eine Nachricht von Chung? Sie hatte keine
Zeit mehr gefunden, das Päckchen zu öffnen, da ihr Auftritt unmittelbar
bevorstand. Sie konnte es sich nicht leisten, sich sofort neugierig auf die
Botschaft zu stürzen, die sie mit dem Päckchen erwartete. Es wäre zu auffällig
gewesen – und daher zu riskant, denn es stand zuviel auf dem Spiel.
Mit einer
mechanischen Bewegung griff sie nach dem bunten, hauchdünnen Negligé und warf
es sich über. Ihre makellose, helle Haut schimmerte durch das duftige Gewebe.
Sie schloß
die Schranktür auf und kramte im untersten Fach zwischen der schmutzigen
Wäsche, bis sie den festen Widerstand zwischen ihren Fingern spürte und das in
graues Papier eingewickelte Päckchen in der Hand hielt. Mit einem Blick zum
Fenster bemerkte sie die angelehnte Balkontür. Die Nacht war mild und lau, sie
ließ die Tür geöffnet, zog aber die dichten Vorhänge vor. Dann knipste sie die
kleine Nachttischlampe an und richtete den Strahl so, daß er die flache
Tischplatte voll ausleuchtete und das Licht nicht streute.
Betsy preßte
die Lippen zusammen. Sie war erregt. Chung hatte ihr noch heute morgen
telefonisch angekündigt, daß er eventuell in der Lage sei, belastendes Material
zu liefern, noch ehe er mit ihr zusammentreffen würde.
Wenn das so
war, dann würde ihre Mission nach einjähriger Dauer zu Ende sein, schneller,
als sie das für möglich gehalten hatte. Und sie war nicht einmal traurig
darüber.
Ihre Finger
zitterten leicht, als sie die dünne Kordel aufknüpfte. Das Päckchen war leicht.
Es würde nur einige Aktenstücke enthalten, doch die konnten
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