Der verbotene Turm
dem anderen. Deshalb ersparte ich ihr das, wie es mein Recht war.« Herausfordernd setzte sie hinzu. »Ich war ihre Bewahrerin!«
»Und du nahmst ihr das Recht, selbst zu wählen!«
»Keine Comyn -Frau kann wählen.« Leonie flüsterte beinahe. »Nicht wirklich. Auch ich habe nicht selbst den Entschluß gefaßt, Bewahrerin zu werden oder in einen Turm zu gehen. Ich war eine Hastur, und es war meine Bestimmung, ebenso wie es die Bestimmung meiner Spielgefährtinnen war, zu heiraten und ihren Clans Söhne zu gebären. Und es ist nicht unwiderruflich. In meiner Kindheit kannte ich eine Frau, die auf diese Weise behandelt worden war, und sie sagte mir, es sei rückgängig zu machen. Sie sagte mir, es sei gesetzlich, während die Neutrierung ungesetzlich ist. Der Sinn ist, daß Frauen aus dem Turm zurückgefordert werden können, wenn ihre Eltern sie für eine dieser dynastischen Heiraten, die dem Comyn -Herzen so teuer sind, brauchen. Die Gebärfähigkeit einer Comyn -Tochter muß auf jeden Fall erhalten bleiben!«
»Aber wie ist es rückgängig zu machen?« drängte er. »Callista kann so nicht weiterleben. Sie ist weder Bewahrerin noch frei.«
»Ich weiß es nicht«, gestand Leonie. »Als es geschah, dachte ich nicht daran, daß es jemals ungeschehen gemacht werden müsse, und deshalb habe ich keine Vorbereitungen für diesen Tag getroffen. Aber ich war froh – soweit mich überhaupt etwas froh machen kann –, als Callista mir zu verstehen gab, ich hätte weniger Erfolg gehabt, als ich glaubte.« Wieder teilten Leonie und Damon die kurze Vision von Callista in Andrews Armen, als sie von Corresanti davonritten. »Aber jetzt sieht es so aus, als habe sie sich geirrt«, stellte Damon fest.
Leonie sah verhärmt und erschöpft aus. »Damon, Damon, laß sie zu uns zurückkehren! Ist es denn etwas Schlimmes, daß sie Lady von Arilinn sein soll? Warum soll sie das aufgeben, um die Ehefrau irgendeines Terranan zu sein und seine Halbblutbälger zu gebären?«
Damon antwortete mit bebender Stimme: »Wenn es ihr Wunsch wäre, die Lady von Arilinn zu sein, würde ich mein Leben für ihr Recht auf diese Stellung einsetzen. Aber sie hat eine andere Wahl getroffen. Sie ist die Frau eines ehrenwerten Mannes, den ich mit Stolz Bruder nenne, und ich will nicht, daß ihr Glück zerstört wird. Und selbst wenn Andrew nicht mein Freund wäre, würde ich Callistas Recht verteidigen, sich ihr Leben so einzurichten, wie sie will. Sie soll den Titel ›Lady von Arilinn‹ ablegen, wenn sie es wünscht, um die Frau eines Köhlers im Wald zu werden oder das Schwert zu ergreifen wie Lady Bruna, ihre Vorfahrin, und an Stelle ihres Bruders die Garde zu kommandieren! Es ist ihr Leben, Leonie, nicht meins oder deins!«
Leonie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ihre Stimme klang erstickt. »Dann sei es. Sie soll die Wahl haben, obwohl ich keine hatte und du auch nicht. Sie soll das wählen, was ihr Männer von Darkover als das einzige für eine Frau passende Leben anseht! Und ich bin es, die für ihre Wahl leiden muß. Ich muß meine Last weiterschleppen, bis Janine alt und stark genug ist, sie mir abzunehmen.« Ihr Gesicht war so alt und verbittert, daß Damon vor ihr zurückwich.
Früher einmal mochte sie gewünscht haben, ihr Amt niederzulegen. Aber jetzt hatte sie nichts anderes mehr. Ihr bedeutete es viel, Macht über Leben und Tod der armen Teufel zu haben, die sich dem Turm weihten, und auch, daß Callista zu ihr kommen und um etwas betteln mußte, das ihr von Rechts wegen zustand.
Mit harter Stimme erklärte er: »Das Gesetz sieht die Freigabe einer Bewahrerin vor. Ich habe dich sagen gehört, die Bürde einer Bewahrerin sei zu schwer, als daß sie ohne innere Zustimmung getragen werden könne. Und es ist immer so gewesen, daß eine Bewahrerin entlassen wird, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr ohne Gefahr verrichten kann. Es stimmt, daß du als Bewahrerin nur deinem eigenen Gewissen verantwortlich bist. Aber was ist das für ein Gewissen, Leonie, wenn es nicht die Ehrlichkeit verlangt, die einer Bewahrerin und einer Hastur würdig ist!«
Wieder entstand ein langes Schweigen. Schließlich sagte Leonie: »Auf das Wort einer Hastur, Damon, ich weiß nicht, wie man es rückgängig macht. Alle meine Nachforschungen in unsern Aufzeichnungen hatten nichts als das Ergebnis gebracht, daß in früheren Zeiten die Bewahrerin in einem solchen Fall nach Neskaya geschickt wurde. Deshalb ging ich nach Neskaya. Theolinda, die dortige Bewahrerin,
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