Das Ende der Männer: und der Aufstieg der Frauen (German Edition)
Einleitung
Diese Welt hat immer den Männern gehört: Keiner der Gründe, die dafür angegeben werden, erscheint ausreichend.
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht
I m Jahr 2009 bemerkte ich in der Küstenstadt, wo ich mit meiner Familie seit Jahren Urlaub machte, etwas Seltsames: Wenn ich mich von den gemieteten Häusern der Urlauber entfernte und zum Beispiel zum Supermarkt oder zur Eisdiele ging, sah ich kaum noch Männer. Auch am Samstagabend auf dem Rummelplatz waren kaum welche da, und am Sonntagmorgen auf den Parkplätzen vor den Kirchen stiegen kaum mehr welche aus den Autos, wie sie es in früheren Zeiten getan hatten. Wir waren in einer wohlhabenden Arbeiterstadt, in der eines der wichtigsten Gewerbe immer der Bau gewesen war. Ich erinnerte mich, dass in früheren Jahren selbst an Samstagen Gruppen von Männern in Pick-ups die Hauptstraßen entlangfuhren. Jetzt aber waren kaum mehr Pick-ups unterwegs, aber viele Chevys und Toyotas mit Frauen und Kindern, die ihren Wochenendaktivitäten nachgingen.
Eines Nachmittags stieß ich bei einem hektischen Einkauf im Supermarkt mit dem Einkaufswagen einer anderen Frau zusammen. Dabei fielen ein paar Müsliriegel zu Boden, die auf einer Riesenpackung Cheerios gelegen hatten. Ich entschuldigte mich, und sie verzieh mir. Ja, sie entpuppte sich sogar als eine gesprächsbereite Fremde. Sie hieß Bethenny und sagte, sie sei neunundzwanzig und betreibe in ihrem Haus eine Kindertagesstätte (deshalb die Riesenpackung Frühstücks-Cerealien). Außerdem studierte sie, um einen Abschluss als Pflegekraft zu machen, und sorgte für eine zehnjährige Tochter. Weil sie so entgegenkommend war, wagte ich mich näher an den Kern der Sache. Ob sie verheiratet sei?, fragte ich. Nein. Ob sie gern verheiratet wäre? Irgendwie schon, sagte sie. Dann gab sie einen halbironischen Wunschtraum über einen Doppelgänger von Ryan Reynolds zum Besten, der auf einem weißen Pferd oder vielleicht auch nur in einem weißen Chevy daherkommt. Ob es denn irgendeinen normalsterblichen Mann gebe, der für diese Rolle in Frage komme. »Na ja, da ist Calvin«, sagte sie und meinte damit den Vater ihrer Tochter. Sie schaute zu ihrer Tochter hinüber, warf ihr einen Müsliriegel zu und beide lachten. »Aber mit Calvin hätten wir zwei einfach einen Müsliriegel weniger.«
Bethenny hatte offenbar in vieler Hinsicht zu kämpfen. Als ich sie an der Kasse wiedersah, stritt sie gerade wegen irgendwelcher Gutscheine herum. Trotzdem war sie nicht gerade der Typ der mitleiderregenden alleinerziehenden Mutter. Ihr Lachen hatte echte Freude ausgedrückt, eine Art geheimes Einverständnis mit ihrer Tochter, die Müsliriegel selbst zu behalten. Ohne es direkt zu sagen, hatte sie mir zu verstehen gegeben, was ihre Tochter offenbar schon verstanden und akzeptiert hatte. Wenn sie Calvin auf Distanz hielt, blieb sie Herrin im Haus, und wenn sie ein Maul weniger stopfen musste, ging es ihr und ihrer Tochter vielleicht sogar besser.
Wie kam es, dass der Vater ihres Kindes so wenig Einfluss auf sie hatte? Wie kam es, dass sein Wert gegen den einer Süßigkeit aufgewogen werden konnte? Ich traute mich, sie zu fragen, ob ich mit Calvin Kontakt aufnehmen dürfe, und sie gab mir bereitwillig seine Telefonnummer.
Im Lauf der nächsten paar Monate sprachen Calvin und ich alle paar Wochen miteinander. Dabei versuchte ich herauszufinden, wie er so unsichtbar geworden war. Er war ein netter, ernsthafter Mensch, und es war nicht schwer, ihn zu mögen. Er erzählte von den vielen Jobs, die er schon gemacht und gehasst hatte, und ich gab ihm gute Ratschläge in Bezug auf die Arbeit und andere wichtige Dinge. (Zum Beispiel erklärte ich ihm, wie man die Mikrowelle im 7-Eleven bedient, eine permanente Quelle der Frustration, wenn er dort seine Mittagsmahlzeit kaufte.) Ich kam auf den Gedanken, eine Geschichte darüber zu schreiben, was im postindustriellen Zeitalter mit Typen wie Calvin passierte, und hoffte, er könnte mir vielleicht helfen, das Rätsel der fehlenden Männer zu lösen.
Die Begriffe Mancession und He-cession für eine Rezession, durch die vor allem Männer arbeitslos werden, hatten in jenem Jahr eine wichtige Rolle in den Schlagzeilen gespielt. Dabei sollte die etwas verkrampfte Eleganz der Wortschöpfungen wohl die schmerzliche Tatsache erträglicher machen, dass die Opfer dieser jüngsten ökonomischen Katastrophe traditionelle Familienernährer wie Calvin waren. Ich fragte mich, wie diese Männer, die schon
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