Der vergessene Strand
Herzens verriet ihn, und sie atmete tief seinen Geruch ein, als müsste sie ihn sich für alle Zeiten einprägen.
Seine Hand strich über ihren Rücken, ihre Haare. Er vergrub das Gesicht in ihren Locken, sie hörte ihn seufzen. «Sieh mich an», bat er dann, und sie hob den Blick. Seine Augen erforschten ihre, und dann küsste er sie.
Kein Kuss, der die Welt um sie herum versinken ließ. Sondern einer, der ihre Sinne schärfte, der ihre Lebendigkeit weckte. Der ihr Herz zum Klopfen brachte. Sein Kuss war so sanft und forderte so wenig, dass schließlich sie es war, die forderte. Sie schlang die Arme um seinen Hals, zog ihn an sich und überraschte ihn und sich mit atemloser Leidenschaft.
Danach lösten sie sich nur widerwillig voneinander. Amelie war außer Atem, fast ein bisschen verschwitzt, so sehr hatte sie dieser Kuss fortgerissen. Seine Hand fuhr unter ihr T-Shirt, die Finger wanderten das Rückgrat hinauf, und er spürte den leichten Schweißfilm auf ihrer Haut. Sie stöhnte leise und wohlig.
«Bist du müde?», fragte er, und sie schüttelte den Kopf, denn so wach hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt.
«Es wäre trotzdem der richtige Moment, um ins Bett zu gehen», befand Dan, und sie widersprach nicht.
Sie gingen nach oben. Dan zog erst sie aus, dann sich selbst, bis sie nur in Unterwäsche voreinanderstanden, und wieder war nichts daran irgendwie peinlich oder unangenehm. Amelie wartete. In ihr war wieder dieses Beben. Dan tat ihr nicht den Gefallen, sie zu berühren, er stand nur vor ihr und betrachtete sie. Diesen Körper, der sich nun langsam zu verändern begann. Ihre Brüste waren deutlich größer, ihr Bauch rundete sich bereits leicht. Dan schien Gefallen daran zu finden.
Sie griff in ihren Rücken und hakte den BH auf. Ließ ihn einfach fallen. Dann schob sie den Slip hinunter und stand nun ganz nackt vor ihm. Sie trat einen Schritt auf ihn zu.
Sie wollte ihn spüren.
Sie ließ die Hand über seinen Oberarm gleiten und spürte die Gänsehaut, die ihre Berührung hervorrief. «Komm», flüsterte sie und stieg in sein Bett.
Dan zog sich ebenfalls nackt aus und folgte ihr unter die kühlen Laken. Durch das halboffene Fenster strich kühle Abendluft ins Zimmer, und fröstelnd kuschelte sie sich an ihn. Seine Hand ruhte auf ihrem Bauch, die andere lag über ihrem Kopf, und sie ergriff beide Hände, wandte sich ihm halb zu und drängte sich noch mehr gegen ihn. Sie spürte seine Erregung und die eigene, aber sie gaben diesem köstlichen Gefühl nicht nach. Sie kosteten aus, was sie jetzt, in diesem Moment, hatten.
Für alles andere war später noch genug Zeit.
Der nächste Morgen kam hell und strahlend. Um halb sechs saß sie aufrecht im Bett, hellwach und munter. Dan schaute sie an; auch er sah nicht so aus, als habe er viel geschlafen.
«Bist du schon lange wach?», fragte sie, und er schüttelte nur den Kopf.
«Hast du mich beobachtet?»
«Und wenn’s so wäre?»
Er legte den Kopf auf den angewinkelten Arm. Sie legte sich wieder hin, diesmal ihm zugewandt. Etwas verschämt zog sie die Bettdecke höher, aber er betrachtete gar nicht ihren nackten Körper, sondern schaute ihr in die Augen, als suche er darin nach etwas. Nach einem Zweifel oder einer Frage.
Sie hatte nichts von beidem. Und jetzt holten sie nach, was sie am Vorabend aufgeschoben hatten. Sie ließen sich viel Zeit und erkundeten einander. Sie machten sich vertraut mit dem Körper des anderen. Sie liebten sich mit viel Bedacht.
Danach wollten sie nicht aufstehen und schliefen einfach wieder ein, dicht aneinandergeschmiegt. Und während Amelie in seinen Armen lag, dachte sie nicht darüber nach, ob das, was sie da getan hatte in den letzten Tagen, auch die richtige Wahl war.
Denn es war die richtige Wahl. Weil sie jetzt selbst entschied, wohin ihr Leben sie führte. Sollte sie es eines Tages in ferner Zukunft anders sehen, würde es eben so sein. Aber dann müsste sie es nicht bereuen. Denn sie folgte ihrem Herzen, und das allein war wichtig.
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Kapitel 27
D er Sommer in Wales war überraschend heiß, und die Tage im August kamen Amelie lang vor. Dan war nicht da. Er hatte schon im Winter einen Wanderurlaub mit zwei Freunden gebucht. Für drei Wochen wollten sie durch Norwegens Norden touren. Er schickte ihr lange E-Mails, wann immer er Internetzugang hatte, und jedes Mal schrieb er unter die Mails, er würde sofort heimkommen, wenn sie ihn brauchte.
Aber sie brauchte ihn gar nicht.
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