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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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redeten. Doch der Wald blieb für ihn trotz aller Anstrengung einfach ein Wald: kühl und still und geheimnisvoll, ganz unbestritten; aber das galt für jeden Forst, den er kannte. Warum also nicht auch für den Rudenforst?
    Mellow saß die meiste Zeit über still neben ihm und hing weiter seinen Gedanken nach. Auch er war aufmerksam, aber auf eine andere Art. Während Finn das Dunkel immer wieder mit seinen Augen zu durchdringen suchte, schien Mellow mehr seinen Ohren zu vertrauen. Die weichen Tatzen gingen Finn allerdings nicht mehr aus dem Sinn, vor allem die Krallen nicht, die sich daran befanden. Bei jedem Knacken zuckte er zusammen   – Mellow achtete indes kaum darauf. Er war in der Nähe dieses Waldes geboren worden und kannte ihn und seine Geräusche von Kindesbeinen an. Nur den Lauten, die von oben kamen, schenkte er vermehrt Beachtung: das Säuseln des Windes, das Zwitschern der Vögel, das schläfrige Rufen eines Uhus, das Krächzen eines Kauzes und plötzlicher, schneller Flügelschlag ließen ihn sich vorbeugen und angestrengt lauschen.
    Eine Stunde nach ihrem Aufbruch erreichten sie den Kamm des Forstes. Nach nicht ganz noch einmal der Hälfte der Zeit sahen sie endlich den jenseitigen Rand des Waldes nahen: ein Halbrund aus Licht hinter wippenden Ästen.
    Als Smod ins Freie trabte, blendete sie die Morgensonne, die nun drei Handbreit höher stand und deren Helligkeit ihnen nach der Düsternis unter den Bäumen seltsam unwirklich vorkam. Dennoch atmeten sie auf und waren froh, den Wald hinter sich gelassen zu haben. Nach einem weiten Bogen der Straße um einen Ausläufer des Forstes wand sich der Weg um die scharfen Ränder einer felsigen Schlucht herum; ein paar Kiefernspitzen ragten aus dem tiefen Einschnitt heraus und befanden sich mit ihnen auf gleicher Höhe. Wasser rauschte irgendwo auf dem Grund des Schluchtwaldes, während die Tiefe selbst in grünem Schatten lag. Jenseits davon schmiegte sich die Straße in sanftem Gefälle an den Hang und senkte sich unter überhängenden Büschen dem weiten Tal des Wirrelbachs entgegen.
    Nach einer Weile richtete sich Mellow auf. »Und wo ist jetzt dein berühmter Turm?« Er schob seinen Hut in den Nacken, legte die Hand beschattend an die Augen und sah sich suchend um.
    Der Rand des eigentlichen Rudenforstes lag nun ungefähr einem Meile hinter ihnen. Der Weg verlief hier auf einer Art natürlichem Damm, zu dessen rechter Seite die grünschattige Schlucht sich öffnete. Seine linke Seite fiel erst steil ab und endete dann in einer großen Mulde, die mit Felsblöcken übersät war, die auf- und übereinander zu heillosem Durcheinander geschichtet dalagen. Das Ganze wirkte, dachte Finn, als habe ein Wrisilrhiob einmal aufräumen wollen und alle im Umkreis befindlichen Steine an dieser Stelle zusammengefegt. Vahithohe Disteln wuchsen hier, und anderes stacheliges Gesträuch lugte aus abertausend Spalten hervor. Die Geröllhalde zog sich, immer steiler werdend, bis zum Waldsaum hinauf. Es erinnerte an einen zu Stein erstarrten Wasserfall, der sich in einen See aus Felsbrocken ergoss.
    Bis zum Wirrelbach   – eher ein kleiner Fluss denn ein Bach   – mochten es noch gute zwei oder drei Meilen sein, wenn ein Vogel sie flog. Ein sich auf der Talsohle entlangwindender grüner Saum aus Sträuchern zeigte an, wo in etwa sein Bett verlief. Aber die Straße bog jetzt nach rechts und verlief in nordöstlicher Richtung weiter. Sie näherte sich so dem Ufer nur allmählich und in einem spitzen Winkel.
    »Nicht mehr weit, und du wirst ihn sehen können«, antwortete Finn. »Und es ist nicht mein Turm. Warst du denn noch nicht hier?«
    »Tief im Wald, ja, aber nie ganz auf dieser Seite. Und du?«
    »Vor mehr als einem Jahr mit meinem Vater. Auch damals ging’s zu Banavred. Federn, Notizbücher, das übliche Zeug. Wir mussten ihm obendrein Metallringe bringen und gefärbtes Glas. Im Übrigen sind wir bald da   – schau!« Finn deutete auf die Straße voraus.
    Deren Beschaffenheit wurde jetzt mit jedem zehnten Huftritt besser. Waren erst nur vereinzelte Steine zu sehen, die halb herausgerissen oder vom Regen freigespült herumlagen, so erblickten sie bald mehrere, die dicht beieinander und dann Bereiche, wo sie noch zusammengefügt den Untergrund bedeckten. Nach einigen weiteren hundert Schritten rollte der Wagen über ein fest ineinander verfugtes Straßenpflaster dahin, und Mellow starrte einem moosbewachsenem Mauerrest nach, der am Wegesrand in sich

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