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Im Tal der Schmetterlinge

Titel: Im Tal der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Anderson-Dargatz
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1.
    DAS FEUER AN den Berghängen leuchtete in der Nacht wie glühende Asche in einem Kamin. Es sah schön aus. Überhaupt nicht beängstigend. Der Geruch nach verbranntem Holz beschwor den Geist vergangener Lagerfeuer herauf. Würstchen und verkohlte Marshmallows. Wässriger heißer Kakao. Doch das Feuer war über den Gipfel gekrochen und begann allmählich, sich einen Weg bergab zu fressen, bedrohte das Tal mit seinen Farmen und Feldern. Riesige Rauchsäulen zeichneten sich bedrohlich über den Ptarmigan Hills ab und verdunkelten den Himmel, so dass kein einziger Stern zu sehen war.
    Jenseits des Feldes eilte Jude im Lichtkegel des Hofs von dem Schuppen, in dem sein Brennofen stand, mit einer Kiste zu seinem Toyota-Pick-up hinüber. Wenn ich ihn sehen konnte, konnte er mich ebenfalls sehen, wie ich hier im T-Shirt und in der Unterhose, die ich zum Schlafen angezogen hatte, in der Küche meiner Mutter stand. Ich griff nach dem Schalter, um das Licht zu löschen und ihn unbemerkt zu beobachten, änderte dann jedoch meine Meinung und legte stattdessen die Hand an die Fensterscheibe. Er hatte nach Kreuzkümmel gerochen, als wir vor all den vielen Jahren im Turtle-Valley-Gemeindesaal zusammen tanzten. Seine heiße Hand an meiner Taille. Sein Oberschenkel, der sich an meinen presste.

    Ein Vogel knallte gegen die Glasscheibe. Ich keuchte erschrocken auf und machte einen Satz zurück. Es war ein Junko, der wahrscheinlich wegen des Feuers vom Berg vertrieben worden war. Als er wegflog, bemerkte ich eine Gestalt, die sich in der Fensterscheibe spiegelte, eine alte Frau, die hinter mir neben der Schlafzimmertür meiner Eltern stand. Das leise Säuseln meiner Mutter und das Schnarchen meines Vaters drangen durch die geschlossene Tür zu mir. Als ich wieder zum Fenster blickte, starrte mir nur noch mein eigenes verzerrtes Spiegelbild entgegen. Aber ich hatte die alte Frau gesehen. Jemand war bei mir in der Küche gewesen.
    Ich schnappte mir den Morgenmantel meines Vaters aus dem Bad, zog ihn über und begab mich auf die Suche nach der Frau. Zuerst sah ich im alten Zimmer meiner Schwester Val nach, wo mein Sohn Jeremy in einem der beiden schmalen Betten schlief, mit gerötetem Gesicht und verschwitztem Haar von der brütenden Hitze. Dann schob ich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern auf, vorsichtig, um nicht gegen den Feuerlöscher zu stoßen, der neben der Tür hing und häufig aus seiner Verankerung fiel, wenn man ihn auch nur streifte. Meine Mutter lag zusammengerollt da und schien beinahe aus dem Bett zu fallen. Ihre Augen bewegten sich im Traum unter den Lidern. Mein Vater schmiegte sich von hinten an sie. Seine Arme und Beine zeichneten sich unter der dünnen Decke ab. Dann ging ich in mein ehemaliges Kinderzimmer, wo mein Mann Ezra schnarchte. Sein Arm hing baumelnd aus dem Doppelbett. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer, das meine Mutter im Moment lediglich als Lager benutzte. Kisten und Taschen stapelten sich auf dem Klavier. Außer uns befand sich niemand im Haus.
    Ich schaute ein weiteres Mal nach Jeremy, um ganz sicher zu gehen, dass bei ihm alles in Ordnung war, und wischte ihm
die Schweißperlen von der Stirn. Dann huschte ich zurück in die Küche, schaltete eine Herdplatte an und stellte in der Hoffnung, mich zu beruhigen, einen kleinen Milchtopf auf den Herd. Die Vancouver Sun , die ich am Nachmittag an einer Tankstelle in Golden gekauft hatte, lag vor mir auf dem Tisch. Die Schlagzeile lautete: Sie haben zehn Minuten, um einem Waldbrand zu entkommen. Was würden Sie mitnehmen? Das gesamte Turtle Valley war angehalten, sich auf eine mögliche Evakuierung einzustellen, und wenn sich das Feuer weiterhin den Hang hinabfraß, hätten wir wohl tatsächlich nur zehn Minuten, um das Tal zu verlassen. Was nicht annähernd ausreichen würde, um die unersetzlichen Besitztümer meiner Eltern zu retten. Also hatten wir bereits im Vorfeld damit begonnen, alles zusammenzupacken und bei meiner Schwester Val in Canoe, einem Vorort von Salmon Arm, einzulagern, bis keine Evakuierung mehr drohte.
    Überall um mich herum standen hüfthoch Umzugskisten und Mülltüten. Doch schon vor dem Feuer war das Haus nicht einfach nur unordentlich, sondern geradezu chaotisch gewesen, jedes Zimmer vollgestopft mit dem angehäuften Krimskrams meiner Mutter, den Weidenkörben, dem Geschirr, den Baumwolltaschen und Bücherstapeln sowie ihren Gewinnen aus Preisausschreiben. Meine Mutter nahm an allen möglichen Wettbewerben teil, und dadurch

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