Der verlorne Sohn
Amtswachtmeister?«
»Ja.«
»Und den nennen Sie Vetter?«
»Natürlich. Vom alten, seligen Landrock her. Ich bin nämlich eine geborene Landrock.«
»Das ist schön, das freut mich. Da sehen wir uns wieder.«
»Heute etwa?«
»Ja. Ich besuche nämlich zuweilen den Herrn Wachtmeister.«
»Das ist recht. Kommen Sie heute Abend ein bischen hin.«
»Gut, ich komme. Aber horch, es klingelt. Durchlaucht sind bereits auf der Treppe. Kommen Sie!«
Der Fürst erwartete sie. Drunten stand eine prächtige Equipage mit zwei Vollblutpferden.
Sie stieß ihn in die Rippen und flüsterte:
»Setzen wir uns vorn oder hinten hin?«
»Wie denn?«
»Na, auf den Bock oder ganz hinten drauf?«
»Der Anton wird uns schon hinstecken, wo wir hingehören.«
Der Diener stand hinten, vorn saß der Kutscher. Anton öffnete den Schlag und der Fürst stieg ein. Der Letztere winkte nach dem gegenüber liegenden Sitze und die beiden Alten nahmen da Platz.
Es fiel den dienstbaren Geistern gewiß sehr schwer, das Lachen zu verbeißen, aber es lief doch Alles glücklich ernsthaft ab, bis auf den Augenblick, an welchem die Pferde rasch anzogen. Da verlor nämlich der hohe Cylinderhut des Köhlers das Gleichgewicht. Der Alte griff schnell zu, um ihn fest zu halten, warf ihn aber erst recht zum Wagen hinaus.
Es wurde gehalten, und der Diener brachte den Hut.
»Er ist das Fahren nicht gewöhnt,« entschuldigte sich der Köhler. »Er ist noch gar nicht in der Hauptstadt gewesen, er ist mir überhaupt ein Bischen enge geworden.«
»Drücke ihn fest!«
Bei diesen Worten erhob sich seine Alte vom Sitze und pochte ihm dreimal so kräftig auf die Feueresse, daß diese ihm bis auf die Ohren herunterfuhr.
»Donnerwetter!« meinte er.
»Na, was denn?«
»Der zerquetscht mir ja den Schädel!«
»Aber nun sitzt er auch fest!«
»Ich bringe ihn gar nicht wieder herunter.«
»Dazu haben wir ja den Diener und den Kutscher. Wenn die sich richtig einstemmen, bringen sie ihn schon los. Nicht wahr, Herr Durchlaucht?«
Der Fürst stimmte lachend bei. Er hatte seinen Spaß über die Gesichter der Leute, welche das seltene Paar in seiner wohlbekannten Equipage sitzen sahen. Er konnte sich sagen, daß er noch nie ein solches Aufsehen erregt habe wie heute. Die Alten spielten gar zu curiose Figuren.
Die Equipage hielt vor einem prächtigen Hause an.
»Verschütten Sie nichts!« sagte die Alte zu dem Diener, als sie ihm zunächst den Korb aus dem Wagen gab.
Sie gelangten glücklich zur Erde und in den Flur hinein. Während sie die Treppe empor stiegen, gelang es der Anstrengung des Alten, seinen Kopf von der Umschlingung des Cylinders zu befreien.
»Aber hier ist doch kein Amtsgebäude,« meinte er.
»Warum erwarten Sie ein solches?«
»Weil ein Oberlandesgerichtsrath doch im Gerichtsgebäude gesprochen werden muß.«
»Mit mir macht dieser Herr eine Ausnahme. Ich darf ihn in seiner Privatwohnung besuchen.«
»Und wir dürfen mit?«
»Hoffentlich wird er uns nicht bös darüber sein. Es ist jetzt die Stunde, in welcher er zu diniren pflegt.«
»Diniren?«
»Ach so! Das heißt zu Mittag essen.«
»Um Fünf?«
»Vornehme Herren machen es so.«
»Du lieber Gott, müssen die Hunger haben. Seit dem frühen Morgen nichts in den Leib bis Nachmittags um Fünfe! Da haben wir es doch anders.«
Der Fürst konnte nicht antworten, denn sie hatten das Vorzimmer erreicht. Dort hingen mehrere Hüte, Ueberröcke und Damengarderobestücke. Ein gallonirter Bedienter stand dabei und verbeugte sich tief vor dem Fürsten.
»Herr von Eichendörffer?« fragte dieser.
»Bei Tafel. Das Diner hat soeben erst begonnen.«
Der Fürst gab Hut und Ueberrock ab und winkte den beiden Alten, ihm zu folgen. Der Diener wollte ihr den Handkorb abnehmen, sie aber sagte rasch: »Halt! Der bleibt meine!«
Er griff nach Hut und Regenschirm ihres Mannes; dieser aber meinte kopfschüttelnd:
»Nicht nöthig, lieber Mann!«
Der Fürst sah und hörte es, ließ es aber ruhig geschehen. Er freute sich des Eindruckes, den seine Begleiter hervorbringen würden. Als er mit den Beiden eintrat, erhoben sich die Herrschaften von den Stühlen.
»Durchlaucht!« meinte der Rath. »Eine freudige Ueberraschung. Herzlich willkommen!«
Der Fürst begrüßte zunächst die Räthin, dann ihn und sodann die anderen Anwesenden. Unter diesen Letzteren befand sich auch der Oberst von Hellenbach mit Frau und Tochter. Auch Assessor von Schubert war anwesend. Er hatte sich auf die Initiative des
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