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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vor Jahrtausenden ein längst vom Welttheater verschwundenes Volk mit armseligen Hilfsmitteln diese kolossalen Steinhaufen zu errichten vermochte. Diese Bauten wirken durch ihre einförmige, traurige Massenhaftigkeit. Ich bewundere sie, aber mein Herz bleibt kalt dabei. So kann es Einem auch mit der Schönheit eines menschlichen Wesens gehen.«
    Da stieß Fanny ein herzliches Lachen aus und sagte:
    »Ah, Sie meinen, daß die Schönheit dieser Jüdin also eine so pyramidale ist.«
    »Nein. Ich brachte nur ein Beispiel, welches zeigen sollte, daß man bewundern kann, ohne mit dem Herzen betheiligt zu sein. Judith ist keine kalte, leblose Schönheit. Sie ist vielmehr grad das Gegentheil. Sie ist voller Gluth und Leben; aber diese Gluth ist verderbend, und dieses Leben kann tödtlich wirken.«
    »Sie sprechen als Dichter!«
    »O nein. Wenn Sie vom Golf von Neapel aus des Nachts den Vesuv erblicken, so sind Sie von dem sich Ihnen darbietenden Schauspiel ergriffen. Er schleudert seine Gluthen gen Himmel; die Erde bebt, und selbst die Wasser bewegen sich unter dem Donner, der auf ihrem Grunde rollt. Der Anblick ist schön, aber grauenhaft. Man fühlt sich nicht sicher, sondern beengt, geängstigt. So war es mir, ganz so, als ich diese Judith erblickte.«
    »Also ein Vulkan ist sie?«
    »Ja. War das, was sie heute that, nicht eine Eruption, hervorgegangen aus dem Krater eines glühenden und zugleich rachsüchtigen Menschenherzens? Mir graut vor ihr. Und dennoch bemitleide ich sie!«
    »Ich auch.«

Sie hatte den Blick sinnend vor sich hingerichtet. Ihr Gesicht zeigte nicht eine Spur von Zorn.
    »Wie? Auch Sie?«
    »Ja, ich fühle nur Mitleid mit ihr.«
    »Mit ihr, die Sie verderben wollte?«
    »Sie that es aus – Liebe zu Ihnen. Es muß traurig, sehr traurig sein, eine unglückliche Liebe im Herzen zu tragen.«
    »Ja, das ist sehr traurig,« antwortete er in einem Tone, welcher sie veranlaßte, ihren Blick schnell auf ihn zu richten.
    »Das klang ja recht eigenthümlich,« sagte sie. »Fast so, als ob Sie das so genau wüßten.«
    »Ich weiß es!«
    »Dann müßten Sie ja auch unglücklich lieben!«
    Er blickte ihr ernst, voll und ehrlich in das Angesicht und antwortete unter einem trüben Lächeln: »Das ist leider auch wirklich der Fall.«
    »Herr Bertram!«
    »Nicht wahr, nun bemitleiden Sie mich!«
    »Gewiß! Sehr!«
    »Und dennoch ist Einer, der eine recht große, innige Liebe, welche keine Hoffnung haben darf, im Herzen trägt, nicht so unglücklich, wie Sie vielleicht denken. Es ist noch etwas dabei, für das ich keine Bezeichnung, kein treffendes Wort finde. Es giebt Naturen, welche in ihrem Unglücke zu schwelgen vermögen. Man kann lieben ohne Verlangen, ohne lebenzerstörende Leidenschaft, so recht fromm und innig. Eine solche Liebe ist zum guten Theil Verehrung, Anbetung. Sie kann freilich nur dann möglich sein, wenn sie sich auf einen Gegenstand richtet, welcher ebenso anbetungswürdig wie unerreichbar ist. Sie flammt auf dem Altare des Herzens; sie hat kein Ende, sie wirkt nicht zerstörend.«
    »Und so eine Liebe ist die Ihrige?«
    »Ja.«
    »Also ist Ihnen der Gegenstand unerreichbar?«
    »Unerreichbar für immer.«
    »Aber diese Dame müßte dann auch so anbetungswürdig sein, wie Sie sagten!«
    »Das ist sie; ja bei Gott, das ist sie.«
    Es war ein eigenthümlicher Ausdruck, mit welchem sich ihr Blick jetzt auf ihn richtete, so herzlich und doch auch so überlegen. Sie legte ihm das Händchen auf den Arm und fragte lächelnd: »Darf ich erfahren, wer sie ist?«
    »Nein.«
    »Wenn ich Sie nun recht sehr bitte, es mir zu sagen?«
    »Auch dann nicht.«
    »Aber warum nicht?«
    »Weil Sie sich dann mitleidig verwundern oder mich verwundernd bemitleiden würden, und Beides würde mir mehr Schmerz bereiten als alles andre Mögliche.«
    »Ich werde weder das Eine noch das Andere thun!«
    Er blickte träumerisch wie in die Ferne und schüttelte verneinend den Kopf. Sie fragte:
    »Darf ich nicht wenigstens erfahren, seit wann Sie diese Hohe, Herrliche lieben?«
    »Seit vor Weihnachten.«
    »Es scheint, daß dies der Zeitpunkt ist, an welchem Sie Damenbekanntschaften gemacht haben, welche für sie unheilvoll sind. Wo lebt diese Dame?«
    »Hier in der Residenz.«
    »Haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Wiederholt.«
    »Und doch nennen Sie sie unnahbar!«
    »O, die Sonne ist uns auch unnahbar; wir können nie zu ihr gelangen, und doch segnet sie uns mit Licht und Wärme. So lebe ich unter den Strahlen eines herrlichen,

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