Der verlorne Sohn
Du ein solches Verlangen nicht aussprechen. Wir sind noch so jung und Du hast Dir erst eine Existenz zu gründen und einen Platz im Leben und der Gesellschaft zu suchen. Dieses Plätzchen aber darf nicht so gar sehr klein und niedrig sein, sondern es soll Raum auch für mich mit haben. Und das soll der Lohn Deines Ringens sein.«
Da leuchteten seine Augen begeistert auf.
»Fanny, ist das wirklich kein Traum?«
»Nein, lieber Robert. Es ist Wirklichkeit.«
»Ich darf denken, Dich einst besitzen zu können?«
»Du sollst denken, daß ich das sehr, sehr wünsche!«
»Dann sollst Du sehen, was ein Mensch vermag. Ich bin arm und gering; aber der Fürst ist mir väterlich gesinnt und wird mir den schweren Weg möglichst ebnen. Und dann – dann –«
»Dann bin ich Dein!« fiel sie ein. »Ist es nicht vermessen von mir, mich Dir als Preis zu setzen? Als wäre ich nun gar so etwas Großes und Erhabenes.«
»Das bist Du auch. Du bist so herrlich, so hoch über mir stehend, daß – daß ich nicht einmal wage –«
»Weiter,« lächelte Sie. »Was wagst Du nicht einmal?«
»Das, was – was – doch nein, es sei gewagt!«
Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Ihre Lippen fanden sich zum Kusse, ohne daß man zu sagen vermochte, wer eigentlich der Anfänger war.
»Fanny, meine Fanny!« flüsterte er, ihr Köpfchen von sich haltend und ihr herzinnig in die Augen blickend.
»Bist Du glücklich?« fragte sie zurück.
»Unendlich!«
»Ich auch.«
»Ich tausche mit keinem Kaiser! Du wirst sehen, daß ich Dich erringe. Ich könnte Alles thun und Alles wagen, für Dich, ja, für Dich!«
»Und vorhin wagtest Du das Leichte nicht!«
Sie küßte ihn.
»O, das war schwer, außerordentlich schwer.«
»Ich habe nicht geglaubt, daß es Dir so schwer fallen würde. Du hast ja früher –«
Sie hielt inne und sah ihm in das Gesicht.
»Was früher?« fragte er. »Meinst Du etwa –«
»Ja,« nickte sie ernst. »Das meine ich!«
»Daß ich früher geküßt habe?«
»Ja, gewiß!«
»Nein, nein,« antwortete er ganz erschrecken.
»Leugne nicht!«
Da erhob er im Gefühle beleidigter Unschuld die Hand wie zum Schwure und sagte in feierlichem Tone:»Fanny, ich beeide hiermit bei Allem, was Du –«
»Still!« fiel sie ihm in die Rede. »Dein Schwur würde doch ein Meineid sein!«
»Herr, mein Heiland, was denkst Du von mir!«
»Ich denke, was wahr ist!«
»Du irrst! Du irrst wirklich!«
»Ich kann Beweise bringen.«
»Bitte, bringe sie!«
»Du hast noch keine junge Dame geküßt?«
»Nein.«
»Etwa nicht jene Jüdin?«
»Ich? Die? Nein!«
»Auch keine Andere?«
»Auch nicht.«
»Da sehe Einer diesen schlimmen Heuchler! Ich habe Beweise, daß Du ein Mädchen geküßt hast, und zwar auf offener Straße, was sehr erschwerend wirkt.«
»Aber, ich bitte Dich! Davon müßte ich doch auch wissen! Es hat irgend Jemand einen Scherz gemacht.«
»Nein. Ich habe es selbst gesehen!«
»Wie denn?«
»Da draußen vor der Stadt lag Eine auf der Straße; sie war vom Pferde gefallen und ohnmächtig geworden.«
»Ach, das warst Du!« sagte er erröthend.
»Ja, ich! Ist das nicht ebenso strafbar?«
»Ich hoffe nicht. Aber ich habe wirklich geglaubt, daß Du diese Sünde gar nicht bemerkt hast.«
»Ja, ich war ohnmächtig!« lachte sie.
»Das dachte ich wenigstens.«
»Ich war es auch wirklich; aber die Besinnung kehrte eher zurück, als Du es gedacht hattest. Noch ehe ich die Augen öffnete, fühlte ich einen Kuß –«
»O weh!«
»Ich konnte mir nicht denken, von wem, denn ich wußte doch noch nicht ganz genau wieder, was mit mir geschehen war. Ich öffnete also die Wimper, aber nur ein ganz, ganz klein wenig, und da knietest Du neben mir.«
»Heuchlerin!«
»Und Du küßtest mich abermals.«
»Und Du erwachtest nicht!«
»Ich bemerkte, daß Du es nicht ungern thatest, und da wollte ich nicht hart gegen Dich sein.«
»Fanny, meine liebe, liebe Fanny! So hast Du mich also schon damals geliebt?«
»O, noch viel eher. Ich war Dir von ganzem Herzen gut, bereits als ich zum ersten Male mit Dir sprach.«
»Du bist ein Engel. Nein, das ist zuwenig. Du bist noch viel, viel anders. Du bist – bist – ich weiß nicht das richtige Wort zu finden. Du warst mir so herrlich, so schön, so erhaben; Du bist es jetzt noch, aber dabei so lieb und gut, so herzig, ja, so herzig. Daß Du mich an jene Küsse erinnerst und mir dabei gestehst, daß Du sie gefühlt hast, das verdoppelt, nein, verzehnfacht mein Glück.
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