Der verlorne Sohn
Schreck.
»Ueberfallen?« fragte der Polizist. »Wer hat es gethan?«
»Dieses Frauenzimmer.«
»Mit einer Waffe?«
»Nein. Aber hier hat sie noch die Tasse in der Hand, aus welcher sie Fräulein von Hellenbach beschütten wollte. Wie aus ihrer Rede hervorgeht, sollte das Gesicht dieser Dame beschädigt werden.«
»Ah, etwa eine Säure? Zeigen Sie her!«
Er nahm der Jüdin die Tasse aus der Hand und roch daran.
»Es ist nichts mehr drin,« sagte er, »aber man riecht es, daß sich eine scharfe Säure darin befunden hat.«
Da ertönte aus den Zuschauern eine Stimme:
»Vielleicht giebt das hier Aufklärung. Ich trat da auf eine Flasche und hob sie auf, da ich hörte, daß es sich um eine Säure handelt.«
Er gab dem Polizisten die Flasche. Dieser las die Etiquette.
»Sapperment! Rauchende Schwefelsäure! Hat sich diese Flasche in Ihrem Besitz befunden?«
»Ja,« antwortete Judith.
Sie befand sich in einer Stimmung, in welcher es ihr unmöglich war, nachzudenken, ob diese Antwort ihr Schaden bringen werde oder nicht. Es hatte sich ihrer eine dumpfe Wuth bemächtigt, in welcher sie fortfuhr: »Immer nehmt mich gefangen, immer, immer! Jetzt habe ich doch ihre Fratze zerstört, und nun wird es ihm nicht einfallen, sie zu seiner Frau zu machen.«
»Ah! Ist es so!« meinte der Polizist. »Darf ich die Herrschaften einladen, sich für einen Augenblick mit herein zu bemühen? Ich bin verpflichtet, den Thatbestand festzustellen. Vorwärts jetzt!«
Er nahm die Jüdin hüben und sein Kamerad faßte sie drüben, um sie nach der Loge des Portiers zu schaffen. Bertram folgte mit Fanny, welche vor Aufregung zitterte und sich schwer auf seinen Arm lehnte.
In der Loge war es hell. Bertram sah das leichenblasse Gesicht der schönen Freundin und fragte:
»Sind Sie wirklich nicht verletzt?«
»Ich glaube nicht, aber sehr erschreckt hat es mich!«
»Nein, verletzt sind das gnädige Fräulein, Gott sei Dank, nicht,« sagte der Polizist, der sie genau betrachtete, »aber die Toilette wird verdorben sein.
Die Säure ist auf das Kleid geschleudert worden. Sehen Sie die Flecken? Es fallen bereits die Löcher in den Stoff.«
»Mein Gott!« rief Bertram. »Wenn Sie in das Gesicht getroffen worden wären! Welch ein Unglück!«
»Ja, dann hätte die ätzende Flüssigkeit das Fleisch bis auf die Knochen zerstört, und die Augen wären ganz sicher erblindet. Das ist eine gefährliche Person. Wollen uns doch einmal ihr Gesicht betrachten.«
Er nahm ihr das Tuch fort, in welches sie sich eingehüllt hatte, und erkannte sie sofort.
»Was! Die schöne Judith aus der Wasserstraße! Ist das möglich? Mädchen, was fällt Ihnen ein? Sind Sie denn nicht schon unglücklich genug, daß Ihre Eltern sich in Gefangenschaft befinden! Warum haben Sie das gethan?«
Judith schämte sich nicht. Sie stand stolz und flammenden Blickes da und antwortete:
»Ihr Gesicht wollte ich zerstören.«
»Sind Sie des Teufels! Wissen Sie, welche Strafe auf so etwas gesetzt ist?«
»Das ist mir gleichgiltig!«
»Zuchthaus!«
»Meinetwegen! Wenn ich nur besser getroffen hätte. Aber sie wird sich nur abgewischt haben. Vielleicht habe ich doch das Gesicht getroffen, und der Brand kommt noch!«
»Welch eine Rohheit! Weshalb haben Sie es denn gethan?«
Die Jüdin zeigte auf Fanny und Bertram und antwortete:
»Der sollte sie nicht heirathen.«
»Ach so! Jetzt wissen wir, woran wir sind. Ich danke den Herrschaften ganz ergebenst und bitte, die Toilette aufzubewahren, da der Untersuchungsrichter ihrer bedürfen wird. Diese gefährliche Person werden wir natürlich nach Nummer Sicher bringen.«
Robert führte Fanny nach dem Wagen und stieg mit ein. Als sich die Pferde in Bewegung gesetzt hatten, machten sich durch die Erschütterungen der Equipage, trotzdem es nur sehr leichte waren, die Folgen des Schreckes geltend. Es überkam sie ein Schwindel. Sie griff nach der Hand Bertrams und klammerte sich convulsivisch an derselben fest.
»Ich falle!« sagte sie.
»Um Gottes willen! Was ist Ihnen?« fragte er.
Sie antwortete nicht. Er sah beim Scheine der Gasflammen, an denen sie vorüberkamen, daß ihr Kopf tief in die Polster zurückgesunken war.
»Ist Ihnen übel?« erkundigte er sich voller Angst.
»Nein, aber matt bin ich.«
Er ergriff auch ihre andere Hand. Er wußte vor sorgender Angst nicht, was er thun sollte. Er war kein Damenherr und trug niemals eine Essenz bei sich wie Andere, welche die Erfahrung gemacht haben, daß Derjenige, welcher mit dem
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