Der verlorne Sohn
gab.
Auch der Hauptmann von Hellenbach war bereits munter. Er sah Alma über den Schloßhof gehen.
»Wahrhaftig, da spaziert sie fort!« zürnte er. »Und wohin? Jedenfalls zu dem geliebten Milchbruder. Ich werde ihr folgen, um zu beobachten, was geschieht.«
Und als er das Schloß verließ, stand der Baron droben an seinem Fenster und brummte zufrieden vor sich hin:
»Da ging sie, und da geht er. Beim Förstersohne treffen sie sich, und da geht der Spektakel los. Ob ich dabei vielleicht etwas profitiren kann? Ich werde es versuchen. Mich soll übrigens verlangen, was sie sagen, wenn sie den Alten todt finden.«
Auch er begab sich auf den Weg, welcher nach der Tannenschlucht führte. Dort lagen noch die Zeugen des Kampfes, einige Leichen und Schwerverwundete und die erbeuteten Packete, bewacht von den siegreichen Grenzaufsehern. Man mußte Alles liegen lassen, bis die Gerichtspersonen, nach denen bereits geschickt worden war, gekommen waren, um den Sachbefund aufzunehmen.
Gustav hatte gestern eine weite Fußtour gemacht und des Nachts nicht geschlafen. Er wollte bei der Ankunft der gerichtlichen Commission zugegen sein und ging daher nicht nach dem Forsthause, wo er bequemer hätte ruhen können. Er blieb in der Tannenschlucht, zog sich jedoch ein wenig seitwärts in den Wald hinein, um sich in das weiche Moos hinzustrecken. Seine Doppelbüchse lehnte an dem Baume neben ihm; die beiden Läufe waren natürlich geladen.
Indem er so da lag und mit dem Schlafe kämpfte, war es ihm, als ob er das leichte Trippeln von Frauenfüßchen vernehme. Er erhob sich und that einige Schritte nach dem Wege hin, welcher hier vorüberführte. Man denke sich seine Freude, als er Alma erblickte, welche soeben vorbei wollte.
»Wohin will mein Sonnenstrahl?« fragte er, indem er zwischen den Bäumen hervortrat.
Sie eilte sofort auf ihn zu und gab ihm die Hand.
»Ich mußte sehen, ob Du noch lebst, mein lieber Gustav,« sagte sie. »Wie? Dein Rock ist voller Blut. Bist Du verwundet?«
»Nein. Ich wollte einen angeschossenen Pascher, welcher fliehen wollte, festhalten und habe mich dabei beschmutzt. Im Schlosse ist doch kein Unglück passirt?«
»Nein. Was sollte denn geschehen sein?«
»Zwei Pascher wollten Deinen Papa durch das Fenster erschießen.«
»Mein Gott!« rief sie erschrocken. »Ich habe noch gar nicht mit dem Vater gesprochen; er war noch nicht wach. Ich horchte an seiner Thür und fand Alles still. Himmel, wenn er todt wäre!«
»Hast Du Schüsse im Schlosse gehört?«
»Nein.«
»So darfst Du ruhig sein. Ich war bei ihm und habe ihn gewarnt.«
»Du? Bei ihm? Nachdem er Dir den Zutritt untersagt hatte?«
»Ja. Ich hielt es für meine Pflicht, ihm selbst die Mittheilung zu machen, wurde aber allerdings nicht gut von ihm empfangen.«
»Er wird nicht ewig zürnen. Der Hauptmann hat ihm die Begebenheit falsch geschildert. Wie denkst Du in Beziehung der Satisfaction?«
»Daran denke ich jetzt nicht. Man muß das später überlegen.«
»So bin ich beruhigt und kann zurückkehren. Lebe wohl!«
Sie reichte ihm abermals die Hand, schlug den Mantel fester um sich herum und ging. Wie glücklich machte ihn die Aufmerksamkeit, welche sie für seine Person an den Tag gelegt hatte!
Baron Franz war dem Hauptmanne gefolgt. Da dieser Letztere sich in die Büsche links vom Wege schlug, so blieb er auf der rechten Seite des Letzteren. Der Hauptmann wollte Alma mit Brandt, der Baron aber alle Drei belauschen.
Dieser Letztere schritt leise unter dem Schutz der Bäume und Sträucher hin, bis er eine männliche und eine weibliche Stimme hörte. Er schlich sich dem Schalle nach und erkannte, daß er Brandt und Alma vor sich habe. Und grad da, wo er sich befand, lehnte die Doppelbüchse des Förstersohnes an dem Stamme eines Baumes. Der Baron untersuchte sie.
»Sie ist geladen, wahrhaftig geladen!« murmelte er. »Jetzt sollte der Hauptmann hinzukommen! Er sollte mich nie wieder an mein Ehrenwort erinnern, und dieser Brandt, den sie liebt, müßte als Doppelmörder auf das Schafott!«
Er kniete nieder, um nicht so leicht gesehen zu werden, und doch Alles besser beobachten zu können. Er bemerkte, daß Alma sich von dem Milchbruder verabschiedete. Kaum aber hatte sie sich entfernt, so trat aus dem gegenüber liegenden Wegsaume der Hauptmann hervor. Brandt blickte ihn zornig an und sagte:
»Herr, Sie haben uns belauscht!«
»Allerdings,« gestand der Hauptmann gleichmüthig. »Ich wollte mir Gewißheit verschaffen über die
Weitere Kostenlose Bücher