Der verlorne Sohn
verrathen, aber –«
»Was aber?«
»Seine Drohung wird er dennoch nicht vergessen.«
»Du glaubst, daß er auf seiner Bedingung bestehen werde.«
»Sicher, zumal er also ein Polizist ist. Aber ich fürchte ihn jetzt nicht mehr. Die Spur ist uns gegeben; ich werde ihn finden und vernichten!« –
Als der Fürst nach Hause kam, fand er Anton vor, welcher ihm meldete, daß der angebliche Architect Jacob wirklich aus der betreffenden Thür getreten sei. Er hatte ihn verfolgt, dann aber das Unglück gehabt, ihn im Marktgewühl aus den Augen zu verlieren.
Dieser Bericht bewies, daß die Mauerstraße und jenes alterthümliche Gartengebäude in Beobachtung zu nehmen seien. Adolf erhielt die sofortige Weisung, zu erforschen, ob auf der genannten Straße ein möblirtes Garçonlogis zu vermiethen sei. Er fand eine passende Wohnung für einen einzelnen Herrn und zog noch vor Abend dort ein, um die erwähnte Beobachtung zu übernehmen.
Während dieser Zeit war die Stunde herangekommen, in welcher der vor Schreck gestorbene Schneider Bertram begraben werden sollte. Der Fürst fuhr zu Hellenbach’s, um Fanny abzuholen. Er fand sie in Bereitschaft. Er ließ seine Equipage dann in der Nähe des Kirchhofes halten und stieg mit dem schönen Mädchen aus, um den Letzteren zu Fuße zu erreichen.
Die Anwesenheit der Beiden fiel bei dem hier herrschenden Gedränge gar nicht auf. Sie hatten innerhalb des Einganges, gleich neben dem Thore Platz gefunden und sahen die Amtspersonen mit den beiden Gefangenen, Bruder und Schwester, aussteigen. Sie mußten an ihnen vorüber. Fanny hatte ihren Arm in den des Fürsten gelegt. Als Robert Bertram an ihnen vorüberging, flüsterte sie:»Das ist er!«
»Ja. Ich erkenne ihn. Es ist der junge Dichter, welchem sein Verleger die Thüre wies. Sieht er aus wie ein Einbrecher, gnädiges Fräulein?«
»O nein, nein; gar nicht! Der Arme!«
Jetzt kam auch Assessor Schubert. Er erblickte die Beiden, trat höflich grüßend an sie heran und sagte:
»Ich danke, daß Sie mein Gesuch erhörten! Würden Sie die Güte haben, sich, wenn er den Kirchhof verläßt, so zu stellen, daß sein Auge möglicher Weise auf Sie fallen muß?«
»Gewiß!« nickte der Fürst.
Der Beamte entfernte sich, und bald hörte man den Gesang beginnen. Die Trauerfeierlichkeit nahm ihren Verlauf, doch vermochten der Fürst und Fanny von ihrem Standpuncte aus die näher Betheiligten nicht zu erblicken. Endlich war der Segen gesprochen, und eine Bewegung der anwesenden Menge ließ vermuthen, daß die Gefangenen den Rückweg angetreten hatten.
Unweit des Fürsten stand, in einen Pelz gehüllt, ein junges, sehr schönes Mädchen mit ausgesprochen orientalischen Gesichtszügen, welches sich jetzt möglichst vorzudrängen suchte. Auch der Fürst veränderte mit Fanny seinen Platz.
Da kamen sie, Robert und Marie Bertram, mit ihrer polizeilichen Begleitung. Die Schwester hielt die Augen niedergeschlagen; der Bruder blickte ausdruckslos vor sich hin. In diesem Augenblicke schob sich das fremde Mädchen noch weiter vor. Robert’s Blick fiel in ihr dunkles, gluthvolles Auge. Sein Fuß zögerte, und seine Pupillen schienen sich zu erweitern. Sein bleiches und dennoch so schönes Gesicht belebte sich.
»Geld, Geld!« sagte er, Allen hörbar. »Das viele Geld!«
Unwillkürlich machte der Fürst eine Bewegung der Ueberraschung. Dadurch zog er die Augen des Gefangenen auf sich. Bertram schien sich einen Augenblick zu besinnen; dann trat er herbei, erfaßte die Hand des Fürsten und sagte: »Hunger! O, sehr großen Hunger!«
Trotz seines umnachteten Geistes hatte er den Mann erkannt, der ihn vom Hunger errettet hatte. Und jetzt, ja, jetzt sah er auch Fanny stehen. Seine Wangen rötheten sich; sein Blick leuchtete selig auf; er trat einen Schritt zurück und recitirte laut:
»Des Himmels Seraph flieht, verhüllt
Von Wolken, die sich rastlos jagen.
Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt,
Den Blumen bittre Thränen tragen,
Und um verborgne Klippen brüllt
Die Brandung ihre wilden Klagen.
Da bricht des Morgens glühend Herz.
Er läßt den jungen Tag erscheinen.
Der küßt den diamantnen Schmerz
Von tropfenden Karfunkelsteinen
Und trägt ihn liebend himmelwärts,
Im Äther dort sich auszuweinen!«
Er hatte so laut gesprochen, daß alle Umstehenden diese Worte hören mußten. Die bereits in Bewegung befindliche Menge war in’s Stocken gerathen. Da trat der mit anwesende Arzt heran, deutete auf Fanny und fragte den Kranken:
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