Roxane und der Hexer (German Edition)
1. Kapitel
Von der nahen Stadt her schlug die Kirchturmuhr. Zwölf Mal. Geisterhaft hallten die Schläge durch das Tal, über die alten Gemäuer der Burg und das Gebäude am Waldrand. Mitternacht. Es war Vollmond. Sein bleiches Licht tauchte die Landschaft in silbrige Helligkeit.
Doch in dem alten Gebäude und in den Gewölben darunter war es finster. Nur in einem der Räume brannte Licht. Eine starke Ba t terieleuchte stand auf einem Mauervorsprung, unter dem ein Mann mit einer Taschenlampe stand.
Zwei Männer mit Spitzhacken bearbeiteten eine alte, feuchte brüchige Mauer.
» Sind Sie sicher, dass es hier ist ?«, fragte der Mann mit der Taschenlampe.
» Freilich « , antwortete einer der Arbeitenden und wischte sich mit dem Jackenärmel den Schweiß von der Stirn. » Hier haben sie ihn eingemauert, damals, 1583. Wenn die Gerüchte stimmen, Otr an to, dann sind wir bald reiche Leute. «
Angestrengt arbeiteten die Männer weiter. Ein Stein fiel nach innen aus der Mauer, gab eine dunkle Höhlung frei. Mit verdo p pelter Anstrengung schlugen die Männer auf das alte G e mäuer. Bald schon klaffte ein großes Loch, wurde so weit vergrößert, dass ein Mann hindurchschlüpfen konnte.
Der Mann, der Otranto genannt worden war, leuchtete in den Raum, der sich hinter der Mauer befand.
Es war ein kleines, enges Geviert. Zwei Meter breit, zwei M e ter tief, drei Meter hoch. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf ein Bündel in der Ecke, ein altes, vermodertes Wams und Knochen. Auf dem Bündel lag ein Totenschädel, an dem ein paar bra u ne Haarsträhnen klebten.
Otranto sagte: » Wir haben uns nicht geirrt. Das ist die Gruft, in der der Hexenmeister eingemauert wurde. Nun gilt es, die alten Beschwörungen zu sprechen, die Riten zu vollführen. «
Einer der beiden anderen Männer wich ein paar Schritte z u rück.
» Tun Sie, was Sie wollen « , sagte er. » Sie haben mich dafür bezahlt, dass ich Ihnen helfe, in die Gruft einzudringen. Das h a be ich getan. Mit allem weiteren habe ich nichts mehr zu tun. Wenn Sie auf mich hören, dann lassen Sie das verdammte Ding da drin in Ruhe. Das bringt nichts Gutes. «
» Roden Sie nicht soviel « , sagte der zweite Mann. » Ihre A r beit ist getan, Ihr Gold haben Sie. Worauf warten Sie noch? «
Ohne ein weiteres Wort ging der Mann.
» Sie glauben wirklich, Sie können das da drin wiederbel e ben ?«, fragte der, der zuletzt gespr o chen hatte, skeptisch.
Otranto nickte.
» Wenn er wirklich ein Hexer war, dann konnte er nicht ste r ben. Ich bin nicht nur Hellseher, ich habe mich auch viel mit Magie und Zauberei beschäftigt, mit Parapsychologie und Spir i tismus. Sie haben sich an den richtigen Mann gewendet. «
» Hoffen wir es « , sagte der andere, ein großer, hagerer Mann mit hartem Gesicht und weißem Haar.
Er schien weit skeptischer als der dunkelhaarige, untersetzte Otranto mit seinen fanat i schen Augen.
» Ihnen geht es um die Verwirklichung eines Traums, mir um Geld. Der da drin weiß, wo das sagenhafte Beuteversteck j e ner Räuber ist, die im 16. Jahrhundert diese Gegend und den Spessart unsicher machten. So steht es in einem alten Dokument, das ich in der Sammlung eines meiner A h nen fand. «
» Worauf warten wir dann noch? «
Otranto trat an die Öffnung in der Mauer. Er rief latein i sche Worte, Zauberformeln.
Dann, dreimal: » Gilbert Signefeu! «
Dann fügte er hinzu:
» Wo immer du auch sein magst, Gilbert Signefeu, ich rufe dich zurück in deine irdische Existenz, Hexer Signefeu! «
Es knackte in der Mauer. »
Achtung !«, schrie der Hagere, sprang vor und riss Otranto z u rück.
Im letzten Augenblick. Die Mauer vor der Gruft wankte, stür z te ein.
» Verdammt, wie konnte das geschehen ?«, rief der Hagere.
Otrantos Finger krallten sich in seinen Arm.
» Sehen Sie doch, dort ! «
Der Hagere wandte den Kopf. Hinter dem Schutt der eingestür z ten Mauer stand eine Gestalt.
» Wer ... ruft ... Gilbert Signefeu? «
Unwirklich, fern klang die Stimme, dumpf und hohl wie aus e i nem Brunnenschacht. Da stand ein Mann, groß und schlank, in ein schwarzes, besticktes Wams gekleidet. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Sein Gesicht lag im Dunkeln.
Der Hagere stand wie gebannt. Doch sein Begleiter sprach.
» Ich, Charles Otranto, habe dich gerufen, Gilbert Signefeu, um dir zu sagen, dass deine Gefangenschaft vorbei ist, dass du frei bist. Wir haben die Mauern deines Gefängnisses niedergerissen, Gilbert Signefeu. «
» Frei! «
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