Der verlorne Sohn
Schreibtisch, eine Bibliothek auf Regalen. Es sah ganz so aus, als ob man sich in der Wohnung eines fleißigen Studenten befinde. Er betrachtete Alles und fragte dann:»Das wurde veranstaltet vom Fürsten von Befour?«
»Ja.«
»Welch ein Mann! Wie dankbar muß ich ihm sein! Aber, Eins liegt mir am Herzen: Ich habe eine Schwester. Wissen Sie, wo sich dieselbe befindet?«
»Ja. Sie sollte heute hier mit zugegen sein; aber das war unmöglich, da sie verreist ist.«
»Verreist? Wo wohnt sie eigentlich?«
»In der Ufergasse. Sie hat eine Stellung bei einer Dame, welche Groh heißt und Rentière ist.«
»Ist die Stellung eine gute?«
»Jedenfalls. Die Dame ist als hochachtbar und sogar als fromm bekannt. Sie ist Mitbegründerin der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern der Seligkeit‹, eine Gesellschaft, welche für die Zwecke der Wohlthätigkeit und inneren Mission arbeitet. Also dürfen Sie um Ihre Schwester nicht bange sein. Meine Frau ging nach der Ufergasse, um sie für heute Abend einzuladen, hörte aber, daß Madame Groh für einige Zeit verreist ist.« –Der Fürst hatte sich heimlich entfernt, um sich den Danksagungen des jungen Mannes zu entziehen; er ging durch den Garten nach seinem Palais, verließ dasselbe aber bereits nach kurzer Zeit verkleidet wieder. Er begab sich nach der Mauerstraße, zog dort einen Schlüssel hervor, öffnete eine Hausthür und stieg zwei Treppen empor, wo er dann leise an eine Stubenthüre klopfte. Es wurde geöffnet. In dem Zimmer war es finster.
»Sie, gnädiger Herr?« fragte Jemand leise.
»Ja, ich, Adolf.«
»Bitte, kommen Sie herein!«
»Willst Du nicht Licht anbrennen?«
»Nein. Im Finstern kann ich beobachten, ohne selbst beobachtet zu werden.«
»Ganz recht! Bist Du vorwärts gekommen?«
»Ja.«
»Gut, sehr gut!« meinte der Fürst, indem er sich nach einem Stuhle tappte, auf welchem er Platz nahm. »Was hast Du weiter erfahren?«
»Der Hauptmann geht nicht durch den Eingang in das Haus, sondern er steigt über die Mauer.«
»Doch nicht etwa hier auf dieser Seite?«
»Ja, gerade
vis-à-vis
von meiner Wohnung. Ich habe es genau beobachtet.«
»Die Mauer ist ja viel zu hoch!«
»Das sagte ich mir auch. Man kann ohne Leiter nicht hinüber. Ich stellte mich also auf die Lauer, und siehe da! Ich entdeckte eine geheime Vorrichtung, deren sich der Hauptmann bedient, um in den Garten zu kommen.«
»Was wäre das?«
»Einer der Steine in der Mauer kann herausgenommen werden. In dem Loche sind Eisen verwahrt, welche in die Mauer gesteckt werden und dann als Stufen dienen.«
»So, so! Hast Du das selbst gesehen?«
»Ja. Ich habe es sogar probirt.«
»Sapperment! Du warst etwa in dem Garten?«
»Freilich! Ich bin hinter dem Hauptmanne her. Das heißt, ich habe mir ähnliche Eisen besorgt und bin in den Garten gestiegen. Dort habe ich auf den Hauptmann gewartet. Als er kam, bin ich hinter ihm hergeschlichen.«
»Verwegener Kerl! Wann war das?«
»Gestern.«
»Bist Du ihm bis in das Gebäude gefolgt?«
»Nein. Aber ich weiß, wie er in dasselbe gelangt.«
Er erzählte nun dem Fürsten von dem Fenster, durch welches der Hauptmann einzusteigen pflegte.
»Kam er da auch wieder heraus?« fragte der Fürst.
»Ja. Er verließ den Garten ganz in derselben Weise, wie er in denselben gestiegen war.«
»Du folgtest ihm dann weiter?«
»Das war leider nicht möglich. Um auch über die Mauer zu kommen, mußte ich warten, bis er fort war, und dann konnte ich ihn nicht einholen, weil ich nicht wußte, um welche Ecke er gebogen war.«
»War es der Baron?«
»Seine Gestalt war es. Heute habe ich nun gehört, daß das alte Gebäude vermiethet werden soll.«
»An wen?«
»An die Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit. Das giebt Einem natürlich zu denken!«
»Freilich! Freilich! Hm! Da darf man nicht zögern. Was meinst Du? Wollen wir sehen, was hinter dem Fenster verborgen ist, durch welches der Hauptmann einsteigt?«
»Ich bin bereit.«
»Nimm Deine Laterne und den Revolver, und komm. Vielleicht gelingt es uns, das ganze Nest nächstens auszunehmen.«
Als der Baron von Helfenstein vorhin die Wohnung des Obersten von Hellenbach verlassen hatte, war er zunächst nach seinem Palais gegangen, hatte es aber bald darauf in Verkleidung durch das Pförtchen wieder verlassen. Er hatte die Richtung nach der Mauerstraße eingeschlagen, war dieselbe aber umgangen und von der anderen Seite an dem geheimnißvollen Gebäude angelangt. Dort öffnete er die
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