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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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benommen! Aber, bitte, sagen Sie mir aufrichtig: Sind Sie in der Führung der Waffen so erfahren, daß Sie einen Gegner nicht zu fürchten brauchen?«
    Er zuckte leichthin die Achsel und antwortete:
    »Ich bin nicht bange, halte übrigens diesen Baron für einen feigen Bramarbas. In diesem Augenblicke geht mein höchster Wunsch nur dahin, daß dieses unangenehme Ereigniß mich Ihnen gegenüber nicht schädigen möge.«
    Er sagte dies in einem so aufrichtigen und dringlichen Tone, daß sie, ihm die Hand auf die Achsel legend, antwortete: »Was denken Sie! Schädigen! Es scheint, daß Sie gar nicht in unsere Nähe kommen dürfen, ohne Unheil davon zu tragen. Ich hoffe, daß Sie sich dadurch nicht veranlaßt sehen mögen, unser Haus zu meiden. Werden wir Sie wiedersehen?«
    »Befehlen Sie es, gnädiges Fräulein?«
    »Befehlen? Nein! Ich wünsche es.«
    Das Herz klopfte ihm fast hörbar laut. Sie wünschte, ihn wieder zu sehen! Welch eine Seligkeit für ihn!
    »Darf ich Sie bitten, wiederzukommen?« fuhr sie fort.
    »Ich werde kommen,« antwortete er mit vor innerer Bewegung ganz leiser Stimme.
    »Und zwar oft?«
    »So oft, als es geschehen kann, ohne Ihnen unangenehm zu werden.«
    »O, das wird niemals geschehen!«
    Sie hatte bis zum letzten Augenblicke ihre Hand auf seiner Achsel ruhen lassen. Beide standen eng nebeneinander. Ein fremder Beobachter hätte glauben können, daß es sich um eine sehr intime Scene handle. Da fiel Fanny’s Blick durch das Fenster auf die Straße hinüber. Im ersten Stock des gegenüber liegenden Hauses waren einige Fenster hell erleuchtet. An einem derselben standen, ganz deutlich sichtbar, zwei Mädchen, welche mit scharfer Aufmerksamkeit herüber zu blicken schienen. Schnell zog Fanny die Hand von ihm zurück und trat vom Fenster weg. Er folgte ihr, ohne bemerkt zu haben, daß er von jenseits der Straße beobachtet worden war.
    Nach einiger Zeit meldete der Diener, daß die Equipage des Fürsten vorgefahren sei. Dieser wendete sich an Bertram.
    »Wir werden uns empfehlen müssen. Hoffentlich gestattet die gnädige Baronesse von Helfenstein, ihr einen Platz bei uns offeriren zu dürfen!«
    »Ich acceptire, Durchlaucht,« antwortete Alma. »Man kann sich nie lange genug in liebenswerther Gesellschaft befinden.«
    Der Oberst erklärte dem jungen Dichter, daß er sich ja als stets willkommen betrachten möge, und begleitete die Drei bis an den Wagen. Noch während des Einsteigens wiederholte er: »Also, Herr Bertram, vergessen Sie ja nicht, daß Sie zu jeder Zeit bei mir offenen Zutritt haben. Betrachten Sie sich ganz als in mein Haus gehörig!«
    Die Equipage setzte sich in Bewegung. Der Oberst sah drüben an der Hausthür zwei Frauengestalten stehen, dachte aber nicht, daß diese ein höchst reges Interesse an seiner Einladung nehmen könnten.
    Jetzt war es Robert Bertram mehr als weihnachtlich zu Muthe. Er hatte den Band seiner Gedichte mit dem reichen Honorar in der Tasche. Er saß mit einem Fürsten und einer Baronesse in der Equipage; es war ihm, als ob er träume.
    Ganz eigenthümlich war auch Alma von Helfenstein gestimmt. Der junge Mann hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht, einen Eindruck, über den sie sich jetzt gar nicht klar zu werden vermochte. Es war ihr, als ob sie sein Gesicht schon oft, sehr oft gesehen habe und als ob er zu ihr gehöre seit langer Zeit.
    Als der Wagen vor ihrer Wohnung hielt und der Fürst ihr beim Aussteigen behilflich war, fragte sie: »Durchlaucht, darf ich hoffen, Sie bald einmal bei mir zu sehen?«
    »Ihr Wunsch ist mir Gebot, meine Gnädige!«
    »So bitte ich, mir unseren jungen Freund mitzubringen. Ich möchte nicht, daß wir uns heute zum ersten und auch zugleich zum letzten Male gesehen haben!«
    Als sie dann bei sich eingetreten war und die Equipage sich wieder in Bewegung setzte, fragte der Fürst:
    »Bitte, lieber Herr Bertram, haben Sie vielleicht in letzter Zeit über Ihre Zukunft nachgedacht?«
    »Sogar sehr eifrig.«
    »Was haben Sie beschlossen?«
    »Es war mir unmöglich, zu einem Entschlusse zu gelangen. Ich mußte Gott walten lassen. Und siehe, er hat geholfen!«
    »Wieso?«
    »Das Honorar, welches ich heute durch Ihre freundliche Vermittlung erhielt, macht mir vielleicht die Erfüllung meines Herzenswunsches möglich: Ich will studiren!«
    »Recht so! Das ist brav. Ich habe es erwartet.«
    »Ich sage mir zwar, daß die Summe, welche ich jetzt besitze, durch die Verpflichtungen meinen Geschwistern gegenüber sehr vermindert

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