Der verlorne Sohn
Endlich hatte man das Material zusammen; Beweise für oder gegen ihn schienen nicht mehr auffindbar zu sein, und so wurde der Termin zur öffentlichen Verhandlung festgesetzt.
Drei Tage vor diesem Termine schritten zwei Männer, in einem eifrigen Gespräche begriffen, auf der Vicinalstraße dahin, welche von Helfenstein aus in östlicher Richtung durch das Gebirge führt. Es war der Schmied mit seinem Sohne. Was sie besprachen, schien, nach den Gesten zu beurtheilen, mit denen sie ihre Reden begleiteten, für sie von großer Wichtigkeit zu sein.
»Nun sage mir aber auch, wohin wir gehen,« meinte der Sohn.
»Wohin? Kannst Du Dir das nicht denken?« fragte der Vater.
»O doch!«
»Nun, wohin?«
»Nach der Eisenbahn.«
»Hm! Du denkst, wir werden mit der Bahn fahren? Wohin denn?«
»Nach der Residenz.«
»Und was wollen wir dort?«
»Den Brandt retten. Weißt Du, erst war ich ihm ungeheuer bös, daß er damals der Gesellschaft solchen Schaden gemacht hat, aber er ist mein Schulkamerad und stets ein guter Kerl gewesen, obgleich der ermordete Baron gern einen großen Herrn aus ihm gemacht hätte. Nun werden sie ihn verurtheilen und aufknüpfen, unschuldig, wie wir Beide wissen. Das ist doch sehr traurig, und wir haben ihn auf dem Gewissen!«
»Du redest wahrhaftig wie ein Katechismus!«
»Nun, habe ich nicht Recht? Geht es nach der Residenz?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es hängt das ab von dem Manne, zu dem wir jetzt gehen.«
»Wer ist das?«
»Baron Franz von Helfenstein.«
»Ah! Zu dem willst Du? Was sollen wir bei ihm?«
»Närrischer Kerl, kannst Du Dir das nicht denken?«
»Nein.«
»So bist Du dümmer als Dein Vater.«
»Sage es; da brauche ich nicht zu rathen.«
»Das ist unnöthig. Du wirst hören, was ich mit ihm spreche, und brauchst dann nur immer das zu wollen, was ich will.«
Sie gelangten in ein Dörfchen, welches zu einer Herrschaft gehörte. Der Edelsitz sah eher einem alten Bauernhause als einem Schlosse ähnlich. Er war das einzige und sehr verschuldete Eigenthum des Barons Franz von Helfenstein. Der Sommer war noch nicht in das Land gekommen, die Zeit zu einer Villeggiatur war also noch nicht da; aber der Baron wohnte doch bereits seit einigen Wochen hier. Er war wieder einmal gezwungen gewesen, vor seinen Gläubigern in diese Einsamkeit zu entfliehen.
Er saß höchst mißmuthig in einer nichts weniger als fein möblirten Stube und rauchte eine Cigarre, welche im Tausend gewiß nicht über zwanzig Thaler zu stehen kam. Er hatte Unglück im Spiel gehabt und sich hierher zurückgezogen, um über einen neuen Plan, seine Lage zu verbessern, nachzudenken. Sogar seinen Bedienten hatte er verabschieden müssen, da er nicht im Stande gewesen war, ihm das rückständige Salair auszuzahlen.
Da klopfte es an seine Thür und auf sein mürrisches »Herrein!« sah er den Schmied mit seinem Sohne eintreten, zwei Helfensteiner, welche er recht gut kannte. Sie grüßten ziemlich höflich und blieben an der Thür stehen, um seine Anrede zu erwarten.
»Ihr, Wolf?« sagte er. »Was wollt denn Ihr von mir?«
»Wolf« war nämlich der Familienname der Beiden.
»Wir möchten uns gern einen guten Rath erbitten, Herr Baron,« sagte der Vater.
»Dazu habe ich keine Zeit. Dazu bin ich nicht da!« antwortete er zornig. »Glaubt Ihr denn, wir Freiherren und Barone seien nur da, um Euch Schmieden und Schänkwirthen gute Lehren zu geben!«
»Nicht?« fragte der Schmied gleichmüthig. »Nun, so habe ich es falsch gemacht und umgekehrt ist es richtig!«
»Was? Wie meint Ihr das?«
»Wir Schmiede sind da, um den Freiherren guten Rath zu geben.«
»Alle Teufel!« brauste der Baron auf. »Ich hoffe doch nicht etwa, daß Ihr gekommen seid, um Euch hier einen unzeitigen Spaß zu machen. Heraus mit dem, was Ihr wollt, und dann trollt Ihr Euch so schnell wie möglich davon!«
»Schön. Wir kommen nämlich von wegen dem Gustav Brandt.«
Er horchte auf. Das war ein Thema, welches ihn höchlichst interessirte. Doch wollte er sich dies nicht merken lassen. Er sagte daher im barschen Tone: »Was geht der mich an! Was habe ich mit dem zu schaffen!«
»Vielleicht wenig oder gar nichts, unter Umständen aber auch sehr viel. Darf ich dem Herrn Baron vielleicht eine kleine Geschichte erzählen?«
»Hole Euch der Teufel! Ich bin kein Freund von Euren Dorfgeschichten!«
»O, es ist keine Dorf-sondern eine Räuber-und Schloßgeschichte, die Ihnen sehr gefallen wird.«
Der Baron kannte die Art und Weise
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