Der verlorne Sohn
setzte sich der Zug in Bewegung. Die Herren der Commission staunten nicht wenig, als sie den Monarchen und sein hohes Gefolge erblickten. Der König schaute außerordentlich ernst, ja finster d’rein. Er befahl den Amtmann zu sich, trat mit diesem auf die Seite und ließ sich Bericht erstatten. Eben als der Amtmann zu Ende war, ließen sich nahende, fast stürmisch eilige Schritte hören. Der Förster nahte.
Er hatte im Walde zu thun gehabt und auf dem Heimwege im Dorfe erfahren, was geschehen war und daß sein Sohn des Doppelmordes angeklagt sei. Er war im Dauerlaufe herbeigekommen und drängte sich fast athemlos durch die Menge. Er sah seinen Sohn in Fesseln, er sah alle die Anderen, auch den König; aber er beachtete sie alle nicht, sondern er wendete sich direct an den Amtmann: »Herr Richter,« sagte er, »mein Sohn soll zwei Menschen ermordet haben, hinterrücks ermordet?«
»Regen Sie sich nicht auf, Herr Förster,« bat der Angeredete, »ich gebe Ihnen die Versicherung, daß –«
»Geben? Eine Versicherung geben? Ich brauche sie nicht. Ich will wissen, ob der Junge ein Mörder ist oder nicht!«
»Die Untersuchung wird das resultiren.«
»Die Untersuchung? Ja, die wollen wir sogleich beginnen!«
Er trat zur Leiche des Hauptmannes und untersuchte sie. Dann wendete er sich an seinen Sohn. Sein Gesicht war kalt, fast gefühllos zu nennen.
»Erzähle!« gebot er.
Da trat der Amtmann herbei und sagte:
»Mein lieber Herr Brandt, die Untersuchung zu führen, ist meines Amtes. Sie dürfen überzeugt sein, daß –«
Der Förster unterbrach ihn durch eine rasche Handbewegung und sagte, beinahe aufbrausend:
»Ueberzeugt? Wovon wollen Sie mich überzeugen? Ich kann mich schon selbst überzeugen!« Und sich direct an den Monarchen wendend, fragte er: »Königliche Majestät, ist es mir erlaubt, mit meinem Sohne zu sprechen?«
Es war ein sonderbarer Fall, ein Ausnahme-Fall; aber der Monarch kannte den alten Ehrenmann und nickte ihm Gewährung zu. Dann fragte der Förster seinen Sohn: »Hier an der Stelle, an welcher er liegt, hat ihn die Kugel getroffen?«
»Ja,« antwortete Gustav. »Zwei Kugeln sind es gewesen.«
»Pah! Dann wird mir das Herz leicht. Du bist der Mörder nicht, denn bei Dir hätte es eine Kugel gethan. Wo sind sie hergekommen?«
»Von hier heraus.«
»Wo warst Du?«
»Ich stand hier neben ihm. Er hatte mich gestern beleidigt. Wir trafen uns hier; er war zur Einsicht gekommen und bat mir die Beleidigung ab. Da kamen die Kugeln.«
»So hat Einer geschossen, dem an Eurer Aussöhnung nichts gelegen war, oder der gerade das, worüber Ihr Euch veruneinigt, auch gern haben wollte. Erzähle!«
Gustav erstattete so ausführlich Bericht, wie es ihm möglich war. Als er geendet hatte, blieb selbst dem Amtmanne nichts zu fragen übrig. Der alte Forstmann aber sagte: »Junge, tritt einmal her zu mir! So, gerade vor mich her! Nun guck’ mir in die Augen! Fest, ruhig und offen! Ah, Du kannst es ja noch! Du schlägst die Augen nicht nieder! Du bist unschuldig! Dein Vater kennt Dich! Hättest Du nur mit der Wimper gezuckt, so wärest Du der Mörder, und ich hätte selbst Gerechtigkeit geübt, hier und sofort. Siehst Du, da mit der Doppelbüchse: Eine Kugel für Dich und eine für mich. Dann war es schnell aus mit uns und mit der Schande. Da Du aber unschuldig bist, so gehe mit Gott. Sie führen Dich in das Gefängniß; aber das thut nichts! In unserem Lande giebt es einen guten König und gerechte Richter, und über uns wacht der liebe Gott, und Dein alter Vater und Deine alte Mutter werden für Dich beten!«
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Monate waren vergangen; der Winter war gekommen und hatte dem Frühlinge weichen müssen. Dennoch war Vieles nicht anders geworden. Der Gerichtsarzt hatte recht gehabt. Alma war einem sehr gefährlichen und langwierigen Fieber verfallen, und da sie in dem Processe gegen Brandt die Hauptzeugin war, so mußte die Untersuchung bis zu ihrer Genesung ruhen.
Die pflichteifrigen Beamten hielten es nicht für unmöglich, daß der Angeklagte schuldlos sei. Sie thaten Alles, was zu seiner Rettung in ihrer Macht stand, aber der Beweise gegen ihn waren zu viele und klare, und der Baron verhielt sich so schlau, daß es unmöglich war, gegen ihn vorzugehen.
Als die Voruntersuchung beendet war, hatte man Brandt nach der Residenz gebracht, wo so schwere Verbrechen abgeurtheilt zu werden pflegten.
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