Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
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Aaron Crown hätte sich nie wieder bei uns blicken lassen sollen. Genau genommen war er doch sowieso keiner von uns gewesen, nicht wahr? Er und seine Familie, schwerfällige Waldbauern aus dem Norden von Louisiana, hatten sich einst im Bezirk Iberia niedergelassen, hielten aber an ihren heimischen Bräuchen fest – sie stahlen gelegentlich Vieh von den Weiden entlang der Flussufer, wilderten in den Wäldern und trieben, wie manche meinten, womöglich Inzest.
Ich sah Aaron Crown vor fünfunddreißig Jahren zum ersten Mal, als er draußen am Highway eine Zeit lang Erdbeeren und Wassermelonen feilbot. Vom gleichen Laster, mit dem er ansonsten Kuhmist transportierte.
Er schien irgendwie seitwärts zu gehen, wie eine Krabbe, trug selbst im Sommer lange Latzhosen und ließ sich jeden Samstagmorgen vom Barbier für einen Dollar den Schädel einseifen und glatt rasieren. Sein stämmiger, dicht behaarter Körper roch streng, wie saure Milch, sodass der Barbier jedes Mal hinten und vorne die Türen aufriss und die Ventilatoren einschaltete, wenn Aaron bei ihm auf dem Stuhl saß.
Nie sah ihn jemand hitzig oder handgreiflich werden. Die Schwarzen, die für ihn arbeiteten, nahmen ihn hin, wie er war – ein Weißer, weder gut noch schlecht, mit einer vernuschelten Hinterwäldlersprache und merkwürdig grünen Augen, über dessen Launen und Stimmungen man besser nicht nachdachte. Zum Gaudium der Schwarzen, die jeden Samstagmorgen beim Schuhputzstand vor dem alten Frederick Hotel herumlungerten, riss er Zündhölzer an den Schneidezahnen an, goss sich Kerzenwachs in den Handteller und ließ es bis auf einen letzten schwarzen Rest abbrennen oder warf ein Messer zwischen die Kappen seiner Arbeitsstiefel.
Doch wer Aaron Crown einmal in die Augen geschaut hatte, konnte sie nie wieder vergessen. Sie wirkten beinahe wimpernlos, wie bei einem Reptil, funkelten misstrauisch, ohne dass es einen Grund dafür gab, und strahlten eine sexuelle Gier aus, bei der einem unbehaglich zumute wurde, egal welchem Geschlecht man angehörte.
Manche sagten, er sei einst Mitglied beim Ku-Klux-Klan gewesen und wegen einer Schlägerei in einer Baptistenkirche ausgestoßen worden, bei der er seinen Widersachern eine Holzbank ins Gesicht geschleudert hatte.
Doch für uns, die wir in einer von französischer Lebensart und vom Katholizismus geprägten Kultur lebten, waren das Hinterwäldleranekdoten, ebenso abwegig und unglaublich wie die Geschichten über Lynchmobs und Brandanschläge auf schwarze Kirchen oben in Mississippi.
Woher hätten wir wissen sollen, dass Aaron Crown eines Nachts bäuchlings wie ein Scharfschütze, den Lederriemen seines Mauser-Sportgewehrs eng um den Unterarm geschlungen, das Gemächt leicht an die Erde gedrückt, unter einer immergrünen Eiche lag, durch deren moosbehangene Zweige das Mondlicht wie blaue Spinnweben fiel, und dem berühmtesten schwarzen Bürgerrechtler in Louisiana durchs geschlossene Fenster eine Kugel in den Kopf jagte?
Es dauerte achtundzwanzig Jahre, bis man ihn dingfest machte, bis man die Geschworenen beisammenhatte, überwiegend Angehörige einer jüngeren Generation, die kein Interesse daran hatte, sich für Männer wie Aaron Crown zu verwenden.
Von Anfang an waren alle von seiner Schuld überzeugt gewesen. Er hatte die Tat nicht geleugnet, nicht wahr? Und außerdem war er eigentlich nie einer von uns gewesen.
Es war Frühherbst, ein Wahljahr, und sobald morgens die Sonne über dem Sumpf aufging und den Nebel zwischen den überfluteten Zypressen wegbrannte, die gegenüber von meinem Köderladen und Bootsverleih am Ufer des Bayous standen, nahm der Himmel einen derart harten, herzerfrischend tiefblauen Ton an, dass man das Gefühl hatte, man brauchte nur den Arm auszustrecken und könnte sich eine Hand voll davon greifen, so wie man einen Klumpen Rohbaumwolle pflückt. Die Luft war kühl und trocken, und vom Fahrweg entlang des Bayous stieg der Staub wie goldene Säulen aus Rauch und Licht durch das Blätterdach der Eichen auf. Ich schmirgelte an diesem Samstagmorgen die Planken meines Bootsanlegers, und als ich aufblickte, sah ich Buford LaRose und seine Frau Karyn, die durch den langen Tunnel aus Bäumen auf mich zujoggten. Sie kamen mir vor, als seien sie dem Foto eines Fitnessmagazins entsprungen, so als habe ein findiger Fotograf diese Szene für ein verklärendes Abbild des so genannten Neuen Südens eingefangen. Erst dann fand ich es merkwürdig, dass sie hier auftauchten, fünfundzwanzig
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