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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hier abholen und von Dir fordern. Uebrigens bin ich nicht unbewaffnet und würde mich zu wehren wissen. Also entscheide Dich! Ich brauche nur einen Wink durch das Fenster zu geben, so kommen meine Begleiter und Du bist Arrestant. Dein Unglück ist dann nicht mehr rückgängig zu machen.«
    Was sie sagte, war keineswegs Alles wahr! Sie befand sich ganz allein hier und dachte gar nicht an seine Arretur. Aber als sie jetzt an das Fenster trat und dasselbe zu öffnen begann, überkam ihn eine entsetzliche Angst. Er sagte sich, daß er jetzt nicht in der Lage sei, es mit diesem Weibe aufzunehmen und daß ihm die nächsten Tage oder Wochen vielleicht bessere Chancen bieten würden, sie loszuwerden. Daher hielt er ihren Arm zurück und sagte: »Halt! Rufen Sie Niemand herbei! Sie sollen Ihren Willen haben!«
    Sie wendete sich langsam zu ihm um und fragte:
    »Das heißt, ich soll Baronin von Helfenstein werden?«
    »Ja.«
    »Sie geben mir die schriftliche Zusicherung nebst Siegel und Unterschrift?«
    »Ja.«
    »Gehen mit mir zum Pfarrer?«
    »Zum Teuf – – ja, zum Pfarrer!«
    »Und schreiben dann auch nieder, daß Sie der Mörder des Barons sind?«
    »Ja. Ich gebe Ihnen Siegel und Unterschrift dazu.«
    Da glitt ein überlegenes Lächeln über ihr Gesicht.
    »Sie halten mich für dümmer, als ich bin,« sagte sie. »Auf diesem Documente würde mir Datum und Siegel nur schaden, auch die Unterschrift. Durch das Datum würde nachgewiesen, daß wir unser Uebereinkommen vor Brandt’s Verurtheilung getroffen haben; ich würde also Ihre Mitschuldige, eine Verbrecherin sein und könnte, ohne mich selbst in die größte Gefahr zu bringen, von diesem Documente gar keinen Gebrauch machen.«
    »Verdammt raffinirt!« stieß er hervor.
    »Allerdings! Das muß man sein, wenn man mit lachender Miene einen Mörder heirathet! Wie leicht können Sie auf den Gedanken kommen, auch mich aus der Welt zu schaffen, um wieder in den Besitz Ihrer Unterschrift zu kommen. Aber ich fürchte mich nicht. Ich werde meine Maßregeln so treffen, daß Sie mir nichts anhaben können, ohne sich selbst zu verderben. Ich werde Ihnen das, was Sie über den Mord niederschreiben, dictiren.«
    »Ah! Warum?«
    »Das werden Sie merken, ohne daß ich es Ihnen sage. Wir werden da mitten im Satze und ganz oben auf der ersten Seite eines Briefbogens beginnen, so daß das Document als Theil eines Briefes erscheint, den Sie fortschicken wollten, aber nicht fortgeschickt haben.«
    »Mädchen! In Ihnen wohnt, weiß Gott, eine ganze Hölle!«
    »Aber auch ein ganzer Himmel, lieber Franz!« lachte sie. Und indem sie ihn umarmte und küßte, fuhr sie fort: »Du wirst die Wahl zwischen dieser Hölle und diesem Himmel haben. Komm, sei gescheit, und wähle den Letzteren. Nimm Papier zur Hand und schreibe. Dann gehen wir zum Pfarrer, und die Sache ist abgemacht!«
    Er konnte nicht anders. Halb gezwungen und halb ihren verführerischen Liebkosungen folgend, brachte er die nöthigen Schreibrequisiten zum Vorschein. – Eine Stunde später sah man sie Arm in Arm durch das Dörfchen gehen und hinter der Thür des Pfarrhauses verschwinden. – –Der Tag, an welchem die Untersuchung gegen Brandt verhandelt werden sollte, kam heran. Er war durch die Zeitungen verkündigt worden, und alle Welt nahm an dieser Angelegenheit den regsten Theil.
    War er schuldig oder unschuldig? So fragte man sich. Die Stimmen waren getheilt; aber die große Hältte derselben fand sich auf seiner Seite. Es war nicht das Mindeste verschwiegen geblieben. Da der Untersuchungsrichter nichts Neues aufzufinden vermocht hatte, so befand sich das Publikum im vollsten Besitze aller Thatsachen, welche für oder gegen ihn sprachen. Mit dem lebhaftesten Bedauern sagte man sich, daß der Mensch Theil für ihn nehmen müsse, der Jurist ihn aber verurtheilen werde.
    Da der Andrang zur Verhandlung voraussichtlich ein übermäßiger sein wurde, so waren Karten ausgegeben worden. Nur bevorzugte Persönlichkeiten hatten Zutritt erlangt. Aber draußen vor dem Gerichtspalaste hatte sich bereits am frühen Morgen eine ansehnliche Menschenmenge versammelt, um die Zeugen ankommen und aussteigen zu sehen.
    Als dieselben ihre Plätze eingenommen hatten, wurde der Angeklagte in den Saal geführt. Die Monate lange Haft war nicht ohne Wirkung auf sein Äußeres geblieben; aber der Eindruck, welchen er machte, war ein durchaus guter.
    Weder furchtsam und frech, sondern offen und muthig, mit dem Ausdrucke eines Mannes, welcher sich zwar in

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