Der verlorne Sohn
werden könne, kam ihm gar nicht bei.
Der Verurtheilte wurde abgeführt, und die aufgeregte Zuhörerschaft verlief sich nur langsam aus dem Saale. Die vor dem Palaste versammelte Menge zerstreute sich lärmend, um das Urtheil in der Residenz zu verbreiten.
Alma war nach ihrem Hotel gegangen, um das Ergebniß dort zu erwarten. Was sie in letzter Zeit erlitten hatte, schien so schwer, daß sie sich wunderte, es ertragen zu haben.
Jetzt ging sie weinend und händeringend im Zimmer hin und her.
»Ich konnte nicht anders; ich konnte wahrhaftig nicht anders!« schluchzte sie. »Ich werde schuld sein, daß man ihn zum Tode verurtheilt; aber ich werde es wieder gut machen, indem ich sofort zum König eile und persönlich um Gnade für ihn bitte. Der Wagen wartet angespannt vor der Thür.«
Endlich, nach mehr als zwei langen, langen Stunden kam ihr Diener, den sie im Verhandlungssaale zurückgelassen hatte. Sie stürzte sich ihm förmlich entgegen, um zu fragen: »Nun? Schnell, schnell! Was für ein Urtheil ist gefallen!«
»Schuldig!« antwortete der Mann, welcher selbst sehr tief ergriffen war.
»Schuldig!« schrie sie auf. »O, mein Gott! So ist er zum Tode verurtheilt worden?«
»Ja! Und gnädiges Fräulein, jedermann schwört darauf, daß er unschuldig ist. Sie müssen ihn retten!«
»Sofort, sofort! Der Wagen steht doch unten?«
»Ja, wie verabredet war.«
»So komm! Ich muß augenblicklich in das königliche Schloß!« – –
Gegen den Abend desselben Tages ging es bei dem Todtengräber von Helfenstein sehr hoch her. Es war sein Geburtstag, und da hatte seine Alte einen mächtigen Napfkuchen gebacken. Es war zwar wenig Butter und gar kein Zucker zu demselben verwendet worden, dafür aber war er gewaltig angebrannt, so daß die Hausfrau den Napf hatte zerbrechen müssen, um zu dem Kuchen zu kommen.
Sie saßen Beide mit einander am Fenster und blickten sehnsüchtig den Berg hinab. Der Gottesacker lag nämlich oben auf der Höhe und stieß an den dichten Wald. Ein Weg führte hinab in das Dorf, und auf diesem Wege mußten die beiden Männer, welche sie geladen hatten, heraufkommen – der Schmied und sein Sohn.
Der Todtengräber hatte einen Sohn, bei welchem der Schmied Pathe gestanden hatte. Dieser Sohn war Soldat gewesen und dann in einem Gasthöfchen der Residenz Hausknecht geworden, hatte sich aber seit längerer Zeit nach einer anderen Stelle umgesehen. Er wäre für sein Leben gern in ›königliche Dienste‹ getreten, wie er sich ausdrückte, um ›Staatsdienste‹ zu bezeichnen. Er war gewohnt, den Eltern alljährlich am Geburtstage des Vaters einen Schreibebrief zu senden. Dieser Brief war heut auch pünklich angekommen, da aber der Schreiber desselben keineswegs zu den ›Helden der Feder‹ gehörte, und weder der Todtengräber noch seine Frau gelernt hatten, egyptische Hieroglyphen zu entziffern, so hatten sie sich hierbei stets auf fremde Hilfe verlassen müssen.
Der Schmied war also der Gevatter der beiden alten Leute, stand aber zu dem Todtengräber auch noch in einem anderen, freilich sehr geheimen Verhältnisse. Der Letztere gehörte nämlich grad so wie der Erstere, zu den Schmugglern. In einem alten Erbbegräbnisse, welches in der hinteren Ecke des Kirchhofes lag, befand sich nämlich eine verborgene Niederlage von Schmuggelwaaren, von deren Vorhandensein nicht einmal die Todtengräberin eine Ahnung hatte. Darum kam der Schmied mit seinem Sohne oft herauf, um den Gevatter zu besuchen, und hatte auch gestern die Einladung erhalten, den Napfkuchen mit verzehren zu helfen.
Er hatte freundlichst zugesagt und versprochen, außer seinem Sohne auch noch ein Fläschchen echten, guten Nordhäuser mitzubringen. Ein Spielchen verstand sich von selbst.
Jetzt stand der Napfkuchen bereit; die Karte lag dabei und der Brief ebenso. Der Schmied konnte lesen; das verstand sich ja ganz von selbst, da er zugleich Schänkwirth war, und ihm oder seinem Sohne fiel also die Aufgabe zu, die Epistel des Hausknechtes zu enträthseln.
Lange hatten die Beiden vergeblich gewartet. Endlich erblickten sie die so sehr Ersehnten, welche mit langsamen, weiten Schritten dahergestiegen kamen. Sie wurden freundlich empfangen, und als der Wirth die Flasche aus der Tasche zog, war die Freude eine doppelte. Man setzte sich. Der Napfkuchen wurde angeschnitten. Zwar wollten beim Kauen die Zähne zusammenkleben, aber der Nordhäuser biß sie wieder auseinander. Da sah der Wirth den Brief liegen.
»Aus der Residenz?« fragte
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