Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
uns?«
    »Bei der Buche am Schloßwege.«
    »Gut, Vater.«
    Er stieg in das Dorf hinab, schlich sich zur Schänke hin und in den Garten derselben. In der Stube saßen noch einige Gäste. An den Garten stieß die Scheune, deren hinteres Thor offen gelassen war. In einer Ecke der Tenne steckten unter dem Stroh zwei Paar Filzschuhe und ein Bund Nachschlüssel. Diese Gegenstände nahm er zu sich und begab sich dann nach der Buche. Da er vorsichtig hatte sein müssen, so traf er den Vater bereits dort an.
    »Hast Du Alles?« fragte dieser.
    »Alles. Ziehen wir die Schuhe gleich hier an?«
    »Ja; die Stiefel stecken wir in das Gebüsch.«
    »Wie aber kommen wir in das Schloß?«
    »Das wird sich finden. Jetzt weiß ich noch nicht, ob man noch munter ist. Vielleicht steht ein Fenster neben dem Blitzableiter offen.«
    Sie wechselten die Stiefel mit den Filzschuhen. Letztere machten ihre Schritte unhörbar; erstere wurden im Gebüsch versteckt.
    Beim Schlosse angekommen, umschlichen sie dasselbe. Der Sohn trug die Kindesleiche und der Vater die Nachschlüssel, welche er mit einem Tuche umwickelt hatte. An einem der hinteren Fenster war noch Licht. Der Schmied kannte das Innere des Schlosses sehr genau, da er alle in sein Fach einschlagenden Reparaturen hier besorgt hatte.
    »Das ist das Stübchen neben der Küche,« meinte er. »Da wird das Weibsvolk sitzen und klatschen. Wenn die Herrin nicht da ist, so hat die Dienerschaft freie Zeit. Warte hier!«
    Er ging. Als er nach kurzer Zeit zurückkam, flüsterte er:
    »Es geht Alles gut. Dort das Eckfenster ist offen. Wir steigen ein. Sollte die Thür verschlossen sein, so öffne ich. Wir kommen in den Flur und von da nach der Treppe. Die Stube, in welcher der Kleine schläft, kenne ich ganz genau.«
    »Aber die Bonne!«
    »Sie sitzt mit da drin. Wie es scheint, haben sie sich eine Chocolade gekocht. Da lassen sie sich nicht stören.«
    »Wie kommen wir wieder heraus?«
    »Ganz auf demselben Wege.«
    Sie stiegen durch das Fenster. Die Thür des Zimmers, in welchem sie sich nun befanden, war nicht verschlossen. In einigen Augenblicken befanden sich die Beiden oben auf dem Corridore.
    »Hier! Leise herein!« flüsterte der Schmied.
    Ein Streichholz flackerte auf. Beim Scheine desselben gewahrten sie den Knaben, welcher in seinem Bettchen schlummerte. Leise, leise nahm ihn der Schmied heraus, er drückte ihn an sich; er erwachte nicht.
    »Schnell! Den anderen Balg hinein! Betten drauf und die Kleidungsstücke, welche dort an der Wand hängen. Findest Du Dich allein zurecht?«
    »Ja, Vater.«
    »So gehe ich. An der Buche treffen wir uns wieder.«
    »Aber wenn der Junge erwacht!«
    »Schadet nichts. Hier hängt ein Mantel. Ich wickle ihn hinein. Was soll man da hören.«
    Er nahm den Mantel, schlug den Knaben hinein und schlich sich davon. Es war ein Wunder zu nennen, daß das Kind nicht erwachte. Mit unhörbaren Schritten huschte der Schmied zur Treppe hinab und durch die Stube, welche sie offen gefunden hatten, in das Freie hinaus.
    Da begann der Knabe sich zu regen. Der Schmied schaukelte ihn im Gehen leise hin und her. Das half. Das Kind glaubte sich in den Armen der Bonne und schlief wieder ein.
    An der Buche angekommen, wartete er. Nach kaum zwei Minuten hörte er leise Schritte. Sein Sohn war es.
    »Nun?« fragte er. »Ist’s gelungen?«
    »Natürlich!«
    »Man sieht aber doch nichts!«
    »So schnell kann es nicht gehen. Das Fenster liegt ja auf der Seite, welche man hier nicht sieht.«
    »Verdammt! Wenn es nicht gezündet hätte, würde man die Verwechslung bemerken!«
    »Habe keine Sorge. Was ich mache, das mache ich gut.«
    »So wollen wir das Weite suchen.«
    »Ziehen wir die Stiefel an?«
    »Dazu giebt es keine Zeit. Trage Du sie. Ich habe den Jungen. Ehe Lärm wird, müssen wir zu Hause sein.«
    Sie eilten davon, erreichten glücklich ihren Garten und gelangten durch die Scheune in den Hof. Die Gäste saßen noch in der Stube.
    »Gehe hinein und schicke die Mutter heraus,« befahl der Schmied.
    Der Sohn ging, und in kurzer Zeit kam die Frau des Schmiedes.
    »Endlich, endlich,« flüsterte sie. »Was ich für Angst ausgestanden habe. Ist es gelungen?«
    »Ich hoffe es. Hier ist der Knabe. Ist das Versteck fertig?«
    »Ja. Gieb ihn her, und gehe in die Stube.«
    »Haben sie nach mir gefragt?«
    »Ja; ich habe gesagt, daß Du beim Gevatter bist, aber bald kommen wirst.«
    Sie nahm das Kind und verschwand im Dunkel des Hofes. Unter dem Hause befand sich ein verborgener Keller,

Weitere Kostenlose Bücher