Der verlorne Sohn
er.
»Ja,« nickte die Alte ganz selig.
»Schon gelesen?«
»Nein. Er ist ja noch zu.«
»Warum lest Ihr ihn denn nicht?«
»Hm!« schmunzelte sie. »Mein Alter hat seine Brille verlegt, und in meiner Nasenquetsche ist ein Glas zerbrochen. Der Glaser hatte kein passendes. Wer soll da lesen!«
»Na, so will ich Euch helfen. Soll ich ihn aufmachen und vorlesen?«
»Ja, sei doch so gut, Gevatter!«
Der Brief steckte in keinem Couverte; er bestand in einem dicken Bogen Notenpapier, welches zusammengelegt und mit Mehl und Wasser zugeklebt war. Der Schmied versuchte, das wieder auseinander zu bringen. Es gelang, und dann las er unter vielen Mühen folgendes:
»Libber Vater und treue Mudter!
Ich ergreife die zwei Väter, die ich gekaubt hawe, um Eich zu Schreiwen, das Ihr gesund und wohl Ich Eich winsche; Graht so auch wie ich!!! Eier Geburzdach ißt zwaar nur dem Vater seiner, abber mein Hertze freiet sich doch könichlig, weil ich itzt entlich könichliger Diehner pin!!!!!!!! Ich habbe nähmlig 1ne Stehle bekomm alls Schliesßer beim könichligen Landesgerricht, wo itzt der Brandts Gußdav zum Dohte verurrdeilt wärden soll. Ich habbe es kut; abber Ich mechde dem Wagdmeißter 1 Sahk Kahrdoffeln schänken. Schiekt Mir 1en Sahk Kahrdoffeln!!!! Die Stiffelbahndoffln gönnt Ihr behallden, weil Ich stähts inn Uhnifform seun muhst. Habt Ihr viel Dohdte bei Euch? Grießt und kißt mir die Garliene und die Kußtel. Wellge von den 2 Ich heurade, daß weuß Ich noch niecht, denn Sieh möggens Ruig abwahrten!!!! Bleubt gedrei eiern guhten Soohn unt Krißtjan!!!!«
Der Inhalt dieses Briefes brachte bei den Eltern natürlich große Freude hervor. Ihr Sohn Schließer beim königlichen Landesgerichte! Das mußte natürlich so bald wie möglich das ganze Dorf erfahren, aber sie konnten doch unmöglich die beiden Gäste verlassen!
»Schließer beim Landesgerichte!« meinte der Todtengräber. »Das muß ein bedeutender Posten sein!«
»Natürlich!« antwortete der Schmied, indem er seinem Sohne einen heimlichen Blick zuwarf.
»Da hat er wohl auch Brandts Gustav gesehen?«
»Wahrscheinlich. Vielleicht ist er sogar in der Verhandlung gewesen, welche heut abgehalten wird.«
»Dabei hätte ich auch sein mögen! Wie wohl das Urtheil ausfallen wird?«
»Er wird jedenfalls zum Tode verurtheilt.«
»Herrgott!« meinte die Alte, indem sie die Hände zusammenschlug. »Ich will aber wetten, daß er unschuldig ist!«
»Ich auch,« meinte ihr Mann, indem er zur Bekräftigung seiner Meinung einen Nordhäuser tödtete.
»Ich ebenso!« fügte der Schmied bei. »Ein Trost ist es, daß man ihn nicht hinrichten wird. Der König muß ihn begnadigen.«
»So kommt er wieder frei?«
»Bewahre! Wer zum Tode verurtheilt ist, kann nur zu lebenslänglichem Zuchthause begnadigt werden.«
»Herr Jesus! Ist das nicht noch schlimmer als der Tod?«
»Freilich, freilich! Aber wer weiß, was geschieht! Der Brandt ist kein Dummkopf, der sich ruhig einstecken läßt.«
Dabei warf er abermals einen heimlichen Blick auf seinen Sohn, den dieser mit einem leisen Nicken beantwortete. Dann fuhr er fort: »Was hat denn da im Briefe Euer Christian mit den Stiefelpantoffeln gemeint?«
»Er hat sie hier gelassen, als er zum letzten Male auf Urlaub zu Hause war. Wir sollten sie ihm nachschicken. Aber weil er jetzt nun in großer Uniform geht – – hm, die Stiefelpantoffel müssen doch für einen königlichen Schließer nicht gut passen!«
»Das glaube ich auch. Und was meint er mit den Kartoffeln?«
»Hm! Das weiß ich selbst nicht. Er will sie dem Wachtmeister schenken. Vielleicht hat dieser ihm zu der Stelle verholfen.«
»So wird es sein. Wie aber wollt Ihr den Sack Kartoffeln nach der Residenz bringen?«
»Ja,« meinte der Alte, indem er sich hinter den Ohren kratzte. »Das ist ein schlimmes Ding! Mit der Eisenbahn oder mit der Post?«
»Vielleicht weiß ich Hilfe. Ich will übermorgen einen Verwandten besuchen, und da komme ich an der Residenz vorbei.«
»Ah! Willst Du so gut sein und die Kartoffeln mitnehmen?«
»Gern!«
»Abgemacht, Gevatter! Ich sacke sie morgen ein und bringe sie Dir hinunter. Aber, da, hm, ich muß hinaus. Da kommt ja schon das Begräbniß!«
Er hatte einen Blick durch das Fenster geworfen. Der Schmied wußte wohl, was er meinte, fragte aber doch:
»Welches Begräbniß denn?«
»Weißt Du das nicht? Der Botenfrau ihr Kleiner ist am Scharlach gestorben; den bringen sie jetzt.«
»Wird es lange dauern?«
»O
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