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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aber bei seiner letzteren Frage war sein Auge mit so triumphirendem Hohne auf sie gerichtet, daß ihr das Blut in den Adern stockte. Es durchschauderte sie, als ob er mit gezücktem Degen vor ihr stehe, um ihr einen tödtlichen Hieb zu versetzen.
    »Nein,« antwortete sie leise und zagend.
    »Nicht? So geben Sie mir Ihren Arm. Wir müssen hier ein Zimmer aufsuchen.«
    »Warum soll ich es nicht hier, sondern im Zimmer vernehmen?«
    Er stieß ein kurzes, cynisches Lachen aus und antwortete:
    »Weil Sie in Ohnmacht fallen werden, wie ich im Voraus weiß.«
    Damit zog er sie fort. Sie nahm sich vor, nun grad ihm zum Trotze stark, sehr stark zu sein und nicht in Ohnmacht zu fallen, möge auch kommen, was da wolle. Im Wartezimmer erster Classe angekommen, wo nur wenige Gäste anwesend waren, zog sie ihren Arm aus dem seinigen und sagte: »Nun, darf ich um Ihre Mittheilung ersuchen?«
    »Bitte, halten Sie sich an diesem Stuhle fest!« antwortete er höhnisch. »Was ich Ihnen zu melden habe, ist nichts weniger als angenehm. Wünschen Sie, daß ich Ihnen eine vorsichtige Einleitung mache?«
    »Sprechen Sie!« gebot sie ihm stolz und kalt.
    »Gut. Heute Nacht ist Schloß Hirschenau bis auf die Mauern niedergebrannt.«
    Sie erbleichte, doch zeigte sie keine Schwäche.
    »War das Feuer angelegt?« fragte sie.
    »Nein; es war eine Folge der Vernachlässigung, wie man vermuthet. Die Herrin war ja nicht daheim.«
    »Man wird das streng zu untersuchen haben. Der Verlust ist übrigens zu überwinden, da Alles versichert war. Natürlich setze ich da voraus, daß kein Menschenleben dabei beschädigt worden ist.«
    »Das ist leider grad der Fall.«
    Jetzt griff sie wirklich nach der Lehne des Stuhles.
    »Ist Jemand verletzt worden?« fragte sie.
    »Verletzt nicht, aber todt,« meinte er kalt und gleichgiltig.
    »Himmel, wer ist es, wer?«
    »Ihr Bruder ist mit verbrannt.«
    Da fuhr sie auf ihn zu. Ihre Augen wurden starr und gläsern.
    »Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge!« rief sie.
    »Ich sehe, daß Sie unzurechnungsfähig sind; darum verzeihe ich Ihnen. Gehen Sie hinaus! Man hat seine Ueberreste gerettet. Die verkohlten Knochen und der verbrannte Schädel liegen zur Besichtigung bereit.«
    Sie fuhr mit den Händen in die Luft, stieß einen unarticulirten Schrei aus und rief laut und jammernd:
    »Gott! Herrgott, Dein Strafgericht beginnt!«
    Dann sank sie leblos auf den Boden nieder.
    Der Baron wendete sich kalt an ihren Diener, welcher unter der Thür stehen geblieben war:
    »Lassen Sie sich hier ein Zimmer geben, und holen Sie einen Arzt. Ich glaube kaum, daß sie transportabel sein wird, und auf Hirschenau ist leider kein Platz für sie.«
    Damit ging er von dannen, als ob ihre Person ihm ganz und gar fremd und gleichgiltig sei. –Am nächsten Morgen kam der Schmied mit seinem Sohne auf seinem Wägelchen nach dem Bahnhofe gefahren. Nachdem er einen Sack Kartoffeln abgeladen und als Passagiergut aufgegeben hatte, fuhr sein Sohn nach Helfenstein zurück, er aber stieg in den Zug, welcher nach der Residenz abging. Dort angekommen, begab er sich sofort nach dem Landesgericht und fragte nach dem neuen Schließer Christian. Dieser kam herbei und erkannte sofort den Gevattersmann seines Vaters. Er freute sich sehr, von demselben besucht zu werden, und fragte ihn, ob seine Eltern den langen Brief erhalten hätten.
    »Ja,« antwortete der Schmied. »Ich habe ihn selbst gelesen.«
    »Wirklich?« fragte Christian. »Nicht wahr, er war sehr schön abgefaßt?«
    »Ja. Besonders das von der Karline und Gustel hat mich gerührt.«
    »Das glaube ich. Im Liebesbriefschreiben habe ich etwas los. Wie aber steht es mit den Kartoffeln?«
    »Die habe ich mit.«
    »Sapperlot! Das ist gut. Ich will sie dem Wachtmeister schenken. Er sagt immer, daß die Kartoffeln, die man hier kauft, nichts taugen, und da will ich ihm einmal zeigen, was die richtigen Kartoffelstückchen mit Majoran oder Gottverthymian zu bedeuten haben. Aber ist es denn auch ein ganzer Sack?«
    »Ein ganzer Scheffelsack.«
    »Und wo ist er?«
    »Er liegt draußen auf dem Bahnhofe als Passagiergut. Hier ist der Zettel, gegen welchen Du ihn bekommst. Das Uebergewicht habe ich bereits bezahlt. Du erhältst ihn also ganz umsonst.«
    Das freute den guten Christian um so mehr. Er taute auf; die Beiden kamen in eine animirte Unterhaltung, und da der Schließer grad eine Viertelstunde Muse hatte, so gingen sie in eine nahe liegende Restauration, um ein Glas Bier zu trinken. Dort kam die

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