Der verlorne Sohn
Rede auch auf Gustav Brandt.
»Warst Du mit bei der Verhandlung?« fragte der Schmied.
»Nein. Ich hatte bei den Gefangenen zu thun. Ich habe überhaupt nicht zu ihm gedurft, weil wir aus einem Orte stammen. Er dauert mich, denn Alle sagen, daß er unschuldig sei.«
»Jedenfalls wird er begnadigt!«
»Natürlich!« nickte Christian, indem er ein überaus pfiffiges Gesicht machte. »Aber es hat einen Haken.«
»Welchen denn?«
»Er will kein Gnadengesuch machen. Er will sich hinrichten lassen, wie sein Vater es verlangt hat. Er sagt, wer unschuldig ist, der könne wohl Gerechtigkeit verlangen, aber keine Gnade.«
»Sakkerment, so wird er um einen Kopf kürzer gemacht! Und er hat nur diesen einen!«
Das Gesicht Christians wurde noch pfiffiger.
»Hm,« brummte er. »Ich glaube nicht daran!«
»Warum?«
»Wir königlichen Beamten kennen das am Besten, aber es ist ein Geheimniß, welches man nicht ausplaudern darf.«
»Christian! Ausplaudern! Wo denkst Du hin! Ueber Amtsgeheimnisse darf man kein Wort sagen. Aber ich denke mir, daß Du gar nichts davon wissen wirst.«
»Ah! Wieso?«
»Du bist noch jung im Amte. Solchen Leuten vertraut man nicht sogleich wichtige Geheimnisse an.«
»Oho! Was gilt die Wette?«
»Papperlapapp! Freilich, wer die königliche Uniform trägt und seinen Eltern ein Paar Stiefelpantoffeln schenkt, die noch fast ganz nagelneu sind, der kann dann schon so thun, als ob man ihm Alles anvertraut. Aber wahr ist es nicht!«
Ein solcher Mangel an Vertrauen war dem Christian unerhört. Das durfte er nicht auf sich sitzen lassen! Was sollten seine Eltern denken, wenn der Schmied, nach Hause zurückgekehrt, ihnen sagte, daß ihr Sohn gar nichts erfahre und wisse! Er setzte sich in Positur und sagte:»Es bleibt dabei: Wollen wir wetten?«
»Ja, sogleich, ich weiß doch, daß ich gewinne!«
»Wie hoch?«
»Wie Du willst!«
»Zwei Glas Bier?«
»Ja. Topp! Also beweise mir, daß Dir das Geheimniß bekannt ist, welches sich auf Gustav Brandt bezieht! Weißt Du es?«
Er blickte den Schließer triumphirend an, als ob er wirklich überzeugt sei, die Wette zu gewinnen. Dieser aber machte eine ganz ebenso siegessichere Miene, bog sich zu ihm herüber und flüsterte ihm so leise, daß die anderen Gäste nichts davon hören konnten, die Worte zu: »Er ist bereits begnadigt!«
Der Schmied schüttelte zweifelnd den Kopf und sagte:
»Unsinn, das hat man Dir nur aufgebunden! Du weißt doch nichts! Er hat ja gar nicht um Begnadigung angehalten!«
»Ja, aber gerade darum hat ihn der König aus eigenem Antriebe begnadigt.«
»Er wird es nicht annehmen!«
»Das wissen wir. Darum darf er auch nicht erfahren, was mit ihm vorgenommen werden soll.«
»Was wäre das denn?«
»Uebermorgen früh erhält er um fünf Uhr seinen Kaffee, um halb sechs Uhr wird er nach dem Bahnhofe gebracht, ohne daß er weiß, was eigentlich los ist.«
»So, so!« nickte der Schmied. »Wer es glaubt, wird selig! Wohin soll er denn geschafft werden?«
»Wo anders hin, als nach dem Zuchthause!«
»Donnerwetter! In’s Zuchthaus also!«
»Ja. Er wird das erst dann merken, wenn er drin ist. Und dann ist alles Sträuben zu spät.«
»Das ist allerdings ein sehr gescheidter Streich!«
»Nicht wahr? Er würde bereits morgen abgeführt werden, aber die Einlieferungsacten werden bis dahin nicht fertig. Habe ich nun die Wette gewonnen?«
»Ja, wenn es wahr ist, was Du gesagt hast.«
»Natürlich ist es wahr, Wort für Wort.«
»Nun, wenn man Dir so großes Vertrauen schenkt, Dir solche Geheimnisse mitzutheilen, so wirst Du ihn wohl transportiren?«
»Ich? Nein, daran denken sie allerdings nicht. So einen Gefangenen vertrauen sie nur dem Wachtmeister selbst an.«
»Diesem allein?«
»Natürlich! Mehrere sind dazu nicht nöthig, denn der Brandt ist doch kein Räuberhauptmann. Uebrigens denke ich, daß er nicht sehr lange im Zuchthause sein wird. Vielleicht zwanzig Jahre. Nach den ersten fünfzehn Jahren darf er um Entlassung anhalten, wenn er sich gut geführt hat und nicht bestraft worden ist.«
»Christian,« sagt der Schmied erstaunt, »ich bin ganz perplex über Deine Kenntnisse! So kurze Zeit erst im Dienst, kennst Du doch Alles schon so genau, wie ein Justizminister!«
»Nicht wahr? Ja, ich will auch schnell steigen!« meinte der gute Junge. »In zehn Jahren kann ich Oberschließer sein. Vielleicht gehe ich gar zu der Steuer über und werde Grenzaufseher. Dann lasse ich mich nach Helfenstein versetzen und heirathe die
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