Der verlorne Sohn
und der arme Teufel muß in das Zuchthaus.«
»Natürlich werde ich da sein, und wenn es mir das Leben kosten soll. Natürlich tragen auch wir Beide falsches Haar und falschen Bart?«
»Das versteht sich ganz von selbst. Ich ziehe mich als Viehhändler an, mit der Geldkatze um den Leib und der Peitsche über der Achsel.«
»Wie aber willst Du in sein Coupee kommen?«
»Das laß nur meine Sorge sein. Ich sitze bereits von der Residenz aus in dem Zuge. Ich muß wissen, in welchem Coupee er sitzt, und wenn ich erst unterwegs einsteige, ist es fast unmöglich, dies zu erfahren, ohne daß es auffällt. Diese Karte der Bahn steckst Du zu Dir, damit Du Dich orientiren kannst.« – –
Am andern Abende trat ein Herr in das Gastzimmer eines Fremdenhauses der Residenz. Er war nicht nobel aber auch nicht schlecht gekleidet, hatte eine dicke Geldkatze um die Hüften geschnallt und eine biegsame Peitsche quer über die Achsel nach unten gebunden. Er verlangte eine Flasche Wein, aß gut und viel, bezahlte mit einem Ducaten, gab ein gutes Trinkgeld und fragte dann, ob er für diese Nacht ein Zimmer bekommen könne.
Solche Gäste pflegen die Wirthe sehr gern zu sehen. Seine Frage wurde also sofort bejahend beantwortet. Er vertiefte sich einige Zeit lang in die Zeitung und ging dann schlafen, nachdem er seinen Namen und seinen Stand eingetragen hatte. Der Letztere lautete: Viehhändler. Droben im Zimmer ordnete er an, daß man ihn früh wecken solle, weil er bereits kurz nach fünf Uhr auf dem Bahnhofe sein müsse.
Am anderen Morgen lag das Zellenhaus des Gerichtspalastes in schwarzer Finsterniß. Nur im Mitteltheile des Gebäudes brannte eine Lampe. Kaum aber hatte es fünf Uhr geschlagen, so wurde es in den langen, schmalen Corridoren licht und lebendig. Die Wärter und Schließer eilten von Zelle zu Zelle, um die Thüren zu öffnen, den Kaffee oder die magere Morgensuppe zu vertheilen und dann die Riegel wieder vorzuschieben.
Die Zellen blieben von jetzt an wieder verschlossen. Nur eine einzige wurde bereits nach fünf Minuten wieder geöffnet. Der Wachtmeister selbst war es, welcher dies that. Es war finster im Innern, und nur der Schein, welcher von außen hineinfiel, erlaubte, eine männliche Gestalt zu erkennen, welche auf der Bank saß und den dünnen Kaffee aus einer niedrigen Blechschüssel trank.
»Guten Morgen, Herr Brandt!« grüßte der Beamte.
Das war eine sehr seltene Bevorzugung.
»Guten Morgen, Herr Wachtmeister,« lautete die Antwort.
Der Gefangene gab dieselbe, indem er sich höflich erhob und der Thüre näherte.
»Wann werden Sie mit dem Kaffee fertig sein?«
»Nur noch einen Schluck.«
»Na, so eilig ist es nicht. Aber halten Sie sich bereit, in einer Viertelstunde in meine Expedition zu kommen!«
»So früh? Liegt vielleicht etwas Neues, Unerwartetes vor?«
»Allerdings!«
»Was meiner Angelegenheit eine andere Wendung geben wird?«
»Ja.«
»Eine bessere?«
»Ich freue mich, Ihnen das bestätigen zu können.«
»Gott sei Dank! Endlich, nachdem bereits das Todesurtheil gefällt ist, scheint die Vorsehung sich meiner erbarmen zu wollen. Ich darf wohl nicht fragen, welcher Natur dies unerwartete Ereigniß ist?«
»Sie wissen, daß Schweigen leider allzu sehr meine Pflicht ist. Nur das kann ich Ihnen sagen, daß wir eine kleine Reise unternehmen werden.«
»Nach meiner Heimath? Nach dem Orte des Verbrechens?«
»Auch hierüber muß ich schweigen.«
»Ah, ich ahne dennoch, daß es sich um eine Recognition handelt, vielleicht um eine Wiederaufnahme der Untersuchung. – Gott sei gelobt!«
Der Wachtmeister ging. Er war ein harter Mann, aber die Täuschung, welcher sich der Gefangene hingab, flößte ihm doch einiges Mitleid ein. Als der Gefangene nach der angegebenen Zeit zu ihm gebracht wurde, stand er, ihn reisefertig erwartend, in seiner Expedition.
»Herr Brandt,« sagte er. »Sie wissen, daß Sie zum Tode verurtheilt sind –«
»Leider weiß ich das nur allzu gut!« antwortete der Unglückliche.
»Sie kennen wohl auch die Strenge meiner Verpflichtung. Sehen Sie her! Es thut mir leid, aber ich kann es nicht ändern!«
Er brachte ein Paar Handschellen zum Vorschein. Ueber das Gesicht Brandt’s flog eine schnelle Röthe. Seine Augen leuchteten zornig auf, doch mäßigte er sich und sagte in höflichem Tone:
»Können Sie mir diese Demüthigung wirklich nicht erlassen?«
»Nein. Ich bin instruirt, sie zu fesseln.«
»Aber ich werde Ihnen nicht entschlüpfen!«
»Ich habe mich
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