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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gnade hatten, mich als Modell –«
    Sie kam nicht weiter. Herr Léon Staudigel hatte den verkleideten Balletmeister erblickt. Ein Gedanke schoß durch seinen Kopf.
    »Wer ist das?« fragte er. »Du als Mann verkleidet; hier vielleicht ein Mann als Frau verkleidet! Wollen doch einmal sehen! Herunter mit der Larve!«
    Er riß die Maske weg und schlug die Hände zusammen.
    »Der Balletmeister!« rief er aus. »Ah! Habe ich das saubere Pärchen erwischt? Man giebt sich ein Stelldichein und spielt gegen mich den Richter? Euch soll der Teufel holen! Euch Beide will ich springen lassen!«
    Aber Niemand war so erschrocken und verblüfft, als eben der Balletmeister und Frau Staudigel.
    »Sie sind es?« stieß sie hervor.
    »Und Sie sind es?« fragte er ebenso.
    Und während sie sich anstaunten, trat der Wirth herein, mit einem Papiere in der Hand.
    »Herrschaften verzeihen!« sagte er. »Darf ich mir gestatten, die Rechnung vorzulegen?«
    »Für wen?« fragte die Frau des Claqueurs.
    »Für diesen Herrn.«
    Dabei deutete er auf ihren Mann.
    »Wie hoch ist diese Rechnung?« erkundige sie sich.
    »Gerade sechszig Gulden.«
    »Sechszig Gulden! Herr, mein Heiland! Wie lange Zeit hat er da schon geborgt?«
    »Gar nicht. Es ist für das heutige Souper.«
    »Was? Wie? Für das Abendessen heute?«
    »Ja.«
    Da faßte sie ihren Mann beim Kragen und schrie:
    »Mensch, bist Du verrückt! Sechszig Gulden an dieses Frauenzimmer zu wenden! Ich werde Dich –«
    »Guten Abend die Herrschaften!« ertönte es laut hinter ihnen, und als sie sich umblickten, stand Holm da.
    »Verzeihung, daß ich störe. Ich bitte mir den Herrn Paukenschläger Hauk aus. Wir müssen nach Hause.«
    Hauk nahm die Maske ab, warf den Regenmantel um, verbeugte sich gegen Alle und sagte dann: »Besten Dank, mein süßer Léon! Ich habe noch nie in meinem Leben so fein gespeist. Jetzt kannst Du dafür Deine Alte küssen. Gute Nacht, meine Herrschaften!« –

Vierte Abtheilung
Die Sclaven des Goldes
Erstes Capitel
Am Spieltische
    Es war am Vormittage desselben Tages, an welchem des Abends jene aufregende Theatervorstellung stattfand. Der aus der Residenz kommende Zug lief in den Perron ein, und ihm entstieg unter anderen Passagieren auch der bekannte Jude Salomon Levi.
    Was mochte er hier in Rollenburg zu thun haben?
    Er hatte heute ein förmlich festtägliches Aussehen. Sein sonst mit rauhen Bartstoppeln bedecktes Gesicht war glatt rasirt. Er schien sich heute überhaupt einmal sorgfältig gewaschen und gereinigt zu haben, und wenn auch sein Anzug nach einem jetzt längst veralteten Schnitte gefertigt war, so mußte man ihn doch wenigstens sauber und fleckenlos nennen.
    Der alte Jude hielt sich gar nicht auf dem Bahnhofe auf, sondern er ging sogleich nach der Stadt und schlug, in derselben angekommen, die Richtung nach dem Schlosse ein.
    Als Landesgefangenenanstalt war dasselbe nicht leicht zugänglich, sondern von einer hohen Mauer umgeben. Ein einziges Thor führte in das Innere. Dort angekommen, zog Levi an der Glocke.
    Im Inneren der Mauer und des Thores stand der wachthabende Militärposten. Dieser öffnete einen kleinen Schieber und blickte durch die so entstehende Oeffnung hinaus. Er sah auf den ersten Blick, daß er es mit einem Israeliten zu thun habe und frug in barschem Tone:»Wer da draußen?«
    »Wer da draußen, haben Sie gefragt? Ich bin es, der da draußen ist, gnädiger Herr von der Schildwache!«
    »Das sehe ich, daß Sie es sind! Aber wer sind Sie denn?«
    »Ich bin der Herr Salomon Levi aus der Wasserstraße in der Hauptstadt, ein Handelsmann von allerlei Gold und Geschmeide.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ist nicht der Director des Zuchthauses mit seinem Namen ein Herr Hauptmann und Regierungsrath von Scharfenberg?«
    »Ja.«
    »Und ist nicht bei ihm zu Besuch der Herr Lieutenant, welcher sich nennt Bruno von Scharfenberg?«
    »Ja.«
    »Diesen Herrn Lieutenant suche ich.«
    »Ist’s nothwendig«
    »Ja. Es ist eine Sache vom Geschäfte, welche sich läßt nicht aufschieben einige Augenblicke.«
    »So will ich Sie einlassen.«
    Das Thor knarrte in seinen Angeln und der Jude durfte eintreten. Er sah einen weiten, gepflasterten Hof vor sich, welcher von hohen, mit kleinen Gitterfenstern versehenen Gebäuden eingefaßt war.
    »Au wai, muß es schlimm sein, zu wohnen in diesen Logis da droben!« entfuhr es ihm.
    »So nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht einmal in die Lage kommen, hier einquartirt zu werden!«
    »Gott Abrahams, das werde ich lassen

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