Der verlorne Sohn
einfensteriges Stübchen, welches wirklich allerliebst und gar nicht nach der bekannten, jüdisch überladenen Manier ausgestattet war.
Dort saß am Tische ein Mädchen, vielleicht zwanzig Jahre alt, aber klein, häßlich und ausgewachsen. Aber wie man grad unter den Häßlichen und Buckeligen oft recht geistreiche Menschen findet, so hatte auch dieses von der Natur äußerlich so kärglich bedachte Mädchen ein herrliches Augenpaar, aus dem eine Seele leuchtete, deren der Körper nicht würdig war.
Man macht oft die Erfahrung, daß schöne Mädchen sich ihre Lieblingsfreundin grad unter den Häßlichen suchen. Ist es nur deshalb, weil dadurch ihre Vorzüge eine besondere Folie erhalten, oder hat dies einen anderen, tiefer zu suchenden Grund – so auch hier.
Judith legte das Tuch ab, und nun stand sie im Scheine der Lampe da in einer Schönheit und Herrlichkeit, welche einen Makart in Entzücken versetzt hätte. Groß und voll gebaut, von stolzer Haltung und wahrhaft gebieterischem Gesichtsschnitte, zeigte sie jene Schönheit, welche der Jugend ihres Stammes zu eigen ist, aber leider rasch zu vergehen pflegt, in ihrer ganzen Glorie. Sie hieß Judith, und sie war eine Judith. Wie mag sich Hebbel in seinem classischen Schauspiel die Judith gedacht haben? Welches Bild mag den Malern und Bildhauern, welche sich an dieses Problem wagten, vorgeschwebt haben? Sie hätten hier dieses Mädchen sehen sollen, und sicherlich wären sie einstimmig in den entzückten Ruf ausgebrochen:
»Ja, das ist die wahre Judith, das muthvolle Weib, die Mörderin des Holofernes, die Retterin ihrer Heimat, welche selbst ihre Tugend zum Opfer brachte, um den Ihrigen das abgeschlagene, blutige Haupt des Feindes zu bringen.«
»War ich Dir zu lange?« fragte sie.
Dabei klang ihre Stimme ganz anders als vorher da unten in der Gerümpelstube. Der Klang war ein so schwesterlicher, traulicher, wohlthuender.
»Wohl nicht,« antwortete die Freundin. »Aber da wir dieses Gedicht lasen, mußte ich warten, und deshalb ist es mir fast recht lang geworden.«
»So laß uns weiter lesen! Ist es nicht, als habe dieser Hadschi Omanah in unsere Herzen geblickt, um dann unsern Gefühlen, Wünschen und Gedanken diese glanz-und prunkvollen Reime zu geben?«
»Ja,« antwortete die Freundin nachdenklich. »Er muß ein hochgeborener Mann sein; an seiner Wiege hat das Glück gesessen, sonst wäre ihm diese Pracht und Herrlichkeit fremd geblieben. Die Worte, in welche er seine Gedanken kleidet, gleichen funkelnden Brillanten, welche in allen Farben und Nuancen schimmern und flimmern. Keiner dieser Diamanten und Smaragden, Rubinen und Saphiren hat eine falsch geschliffene Facette. Es ist alles so werthvoll, echt und schwer, wie es eigentlich nur ein König, ein Kaiser tragen kann.«
Bei dieser begeisterten Lobrede schüttelte Judith leise und langsam den Kopf.
»Vielleicht findet gerade das Gegentheil statt,« sagte sie. »Viele Dichter und Schriftsteller schreiben gerade über das, was ihnen am Allerfernsten liegt, am Allerliebsten. Ein Prinz schreibt gern Dorfgeschichten, ein Melancholikus gern Humoresken, und ein Literat, welcher mit dem Hunger kämpft, wagt sich an das Höchste und Beste, was der Mensch zu erreichen vermag. Er träumt, es im Besitz zu haben; seine Phantasie schmückt es mit allen irdischen Werthen und Schönheiten; er fühlt sich während des Schreibens als Glücklichster der Sterblichen und sinkt, wenn er die Feder fortlegt, dem Knochengespenste des Hungers und des Elends wieder in die Arme.«
Sie ahnte nicht, wie Recht sie in diesem Falle hatte. Aber ihre Freundin sagte:
»Daran glaube ich hier nicht. Wer sich zu solcher Höhe emporzuschwingen vermag, muß auch schon auf Erden hoch Fuß gefaßt haben. Höre nur hier, wo er von dem Suchen nach Gott spricht!«
Sie nahm das Buch zur Hand und las begeistert vor:
»Schwingt Euch hinauf in jene Fernen,
Zum großen Weltenozean;
Lest in den Sonnen, in den Sternen!
Sie zeigen Euch des Ewgen Bahn.
Dort oben kann kein Zweifel walten,
Wie hier in Wort und Buch und Schrift.
Dort muß der Geist sich frei entfalten,
Bis er auf seinen Urquell trifft!« –
»Kann ein Leidender, ein Hungriger so schreiben?« fragte sie. »Klingt nicht aus jedem Worte ein Muth, eine Kraft, eine Stärke, welche nur, daß ich mich so ausdrücke, in einem gutgenährten Körper wohnen kann?«
»Dann müßten alle Helden der Weltgeschichte auch körperlich Titanen gewesen sein, und doch wissen wir das
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