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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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allerdings nichts Ungefährliches. Wie Sie aber nur fragen können! Hier aber ist ja nun der Situationsplan. Die Eins ist die erste Zelle am Hauptgebäude; dann laufen die Nummern nach dem Giebel zu, immer weiter und höher, erst hinter und dann wieder vor. Auf jeder Seite zwölf Zellen. Da steckt also der Vater in der letzten und der Sohn in der vorletzten des zweiten Flügels.«
    »So ist die Sache? Ach so!«
    »Ja. Wollen Sie noch etwas wissen?«
    »Nein; ich danke!«
    »Na, so kann ich die Liste wieder einstecken. Es ist sehr unrecht von mir gehandelt, daß ich solche Sachen verrathe!«
    »Ich hoffe doch nicht, daß Sie etwa glauben, ich sei im Stande, Ihr Vertrauen zu mißbrauchen!«
    »O nein! So sehen Sie mir gar nicht aus!«
    »Das denke ich auch. Ihre Gefälligkeit wird Ihnen vielmehr gute Zinsen tragen.«
    »Wieso?«
    »Nun, wegen der Stelle, welche ich Ihnen verschaffen will.«
    »Ja, bitte, sehen Sie sich für mich um!«
    »Ich werde es gleich heute thun.«
    »Wollen wir uns hier wieder treffen?«
    »Ja. Vielleicht morgen?«
    »Gut! Ich werde um dieselbe Zeit wieder hier sein. Jetzt aber muß ich wieder fort. Meine Zeit ist abgelaufen.«
    Er steckte die Liste wieder ein, bedankte sich für das Getränk, welches er erhalten hatte, und ging.
    »Dummkopf!« brummte der Agent. »So ein unvorsichtiger Kerl ist mir doch all’ mein Lebtage noch nicht vorgekommen! Ich habe es gar nicht für möglich gehalten, so leicht und auf solche Weise zu erfahren, was ich wissen wollte. Jetzt nun in die Siegesstraße, um diesen sogenannten Herrn Robert Bertram kennen zu lernen.«
    Er fand das kleine Häuschen und klingelte. Der alte Papa Brandt öffnete.
    »Was wünschen Sie?« fragte er.
    »Wohnt hier ein Student namens Bertram?«
    »Ja.«
    »Ist er daheim?«
    »Ja.«
    »Bitte, ich möchte einmal mit ihm sprechen.«
    »In welcher Angelegenheit?«
    »Geschäftssache.«
    »Was sind Sie?«
    »Buchhändler.«
    »Und Ihr Name?«
    »Der ist doch wohl Nebensache.«
    »Wie Sie wollen!«
    »Also bitte, melden Sie mich dem Herrn.«
    »Er empfängt jetzt nicht; er arbeitet.«
    »Sagen Sie ihm, daß meine Angelegenheit keine gewöhnliche sei!«
    »Das wird nichts nützen. Wenn Herr Bertram arbeitet, darf ich Niemanden zu ihm bringen.«
    »Darf ich vielleicht wiederkommen?«
    »Das können Sie!«
    »Wann?«
    »Kommen Sie um zwei Uhr.«
    »Danke! Adieu!«
    Brandt verschloß die Thür, und der Agent brummte, indem er weiter ging, mißmuthig vor sich hin: »Verdammt! Dieser Student hat ja Moden wie ein hochadeliger Junker! Mich nicht vorzulassen! Ich bin nur neugierig, was für ein Kerl er ist!«
    Der Fürst war wieder zu dem Staatsanwalt zurückgekehrt und hatte ihm die Zellenliste überreicht.
    »Nun,« fragte der Beamte; »wie ging es?«
    »Ganz wie ich vermuthete. Der Kerl wollte wissen, in welchen Zellen die Schmiede stecken.«
    »Und Sie haben es ihm gesagt?«
    »Ja. Nummer Zwölf und Einundzwanzig.«
    »Ich mag Ihnen weder widersprechen, noch kann ich Ihnen Vorschriften machen; ich wünsche nur, daß Ihre Berechnungen sich bewähren mögen.«
    »Haben Sie keine Sorge! Ich irre mich nicht.«
    »Der Mann will sie befreien?«
    »Oder tödten.«
    »Auf welche Weise?«
    »Durch’s Fenster.«
    »Womit?«
    »Gift. Vielleicht denkt er auch an ein anderes Mittel, zum Beispiel an eine geräuschlose Schießwaffe.«
    »Sapperment! Das werde ich mir verbitten!«
    »Versteht sich. Uebrigens sind Sie am Tage sicher, daß er nicht kommt. Ich möchte überhaupt vermuthen, daß er erst nach Mitternacht an’s Werk gehen wird.«
    »Haben Sie Gründe, dies anzunehmen?«
    »Ja. Und außerdem geben Sie doch zu, daß die Zeit vor Mitternacht nicht geeignet ist, mittelst Leiter mit einem Gefangenen in Beziehung zu treten.«
    »Gewiß. Dennoch aber werde ich vor Eintritt der Dunkelheit einen Posten ausstellen.«
    »Um ihn festnehmen zu lassen?«
    »Ja.«
    »Sobald er erscheint?«
    »Gewiß.«
    »Ich möchte da anderer Meinung sein, Herr Anwalt.«
    »Darf ich dieselbe erfahren?«
    »Natürlich! Was wollen Sie dem Menschen thun, wenn Sie ihn festnehmen, bevor er seinen Plan in Ausführung bringen konnte? Ich würde ihn ruhig an der Mauer emporsteigen lassen.«
    »Und die Gefangenen erschießen?«
    »Nein,« lachte der Fürst. »Die Hauptsache ist, ihm beweisen zu können, was er will. Bringen Sie die Gefangenen in andere Zellen und stecken Sie an deren Stelle einen oder zwei Polizeibeamte hinein. Der Mann legt die Leiter an und klopft an das Fenster. Einer

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