Der Verschollene
Frage. Die lautete: „Was wollten Sie denn ursprünglich studieren?" Um die Frage genau zu bestimmen – an der genauen Bestimmung lag dem Herrn immer sehr viel – fügte er hinzu: „In Euro- pa, meine ich." Hiebei nahm er die Hand vom Kinn und machte eine schwache Bewegung, als wolle er damit gleichzeitig andeuten wie ferne Europa und wie bedeu- tungslos die dort einmal gefaßten Pläne seien. Karl sagte: Ich wollte Ingenieur werden." Diese Antwort wider- strebte ihm zwar, es war lächerlich im vollen Bewußt- sein seiner bisherigen Laufahn in Amerika die alte Erinnerung, daß er einmal habe Ingenieur werden wol- len, hier wieder aufzufrischen – wäre er es denn selbst in Europa jemals geworden? – aber er wußte gerade keine andere Antwort und sagte deshalb diese. Aber der Herr nahm es ernst, wie er alles ernst nahm. „Nun Inge- nieur", sagte er, „können Sie wohl nicht gleich werden, vielleicht würde es Ihnen aber vorläufig entsprechen, ir- gendwelche niedrige technische Arbeiten auszuführen." Gewiß", sagte Karl, er war sehr zufrieden, er wurde zwar, wenn er das Angebot annahm, aus dem Schauspie- lerstand unter die technischen Arbeiter geschoben, aber er glaubte tatsächlich sich bei dieser Arbeit besser be- währen zu können. Übrigens, dies wiederholte er sich immer wieder, es kam nicht so sehr auf die Art der Arbeit an, als vielmehr darauf sich überhaupt irgendwo dauernd festzuhalten. „Sind Sie denn kräfig genug für schwerere Arbeit?" fragte der Herr. „Oja", sagte Karl. Hierauf ließ der Herr Karl näher zu sich herankommen und befühlte seinen Arm. „Es ist ein kräfiger Junge" sagte er dann, indem er Karl am Arm zum Führer hin- zog. Der Führer nickte lächelnd, reichte ohne sich übri- gens aus seiner Ruhelage aufzurichten Karl die Hand und sagte: „Dann sind wir also fertig. In Oklahama wird alles noch überprüf werden. Machen Sie unserer Werbe- truppe Ehre!" Karl verbeugte sich zum Abschied, er wollte sich dann auch von dem andern Herren verab- schieden, dieser aber spazierte schon, als sei er mit seiner Arbeit vollständig fertig, das Gesicht in die Höhe gerich- tet auf der Platform auf und ab. Während Karl hinunter- stieg wurde zur Seite der Treppe auf der Anzeigetafel die Aufschrif hochgezogen: „Negro, technischer Arbei- ter". Da alles hier seinen ordentlichen Gang nahm, hätte es Karl nicht mehr so sehr bedauert, wenn auf der Tafel sein wirklicher Name zu lesen gewesen wäre. Es war alles sogar überaus sorgfältig eingerichtet, denn am Fuß der Treppe wurde Karl schon von einem Diener erwar- tet, der ihm eine Binde um den Arm festmachte. Als Karl dann den Arm hob, um zu sehn was auf der Binde stand, war dort der ganz richtige Aufdruck „technischer Arbeiter".
Wohin Karl nun aber geführt werden mochte, zuerst wollte er doch Fanny melden wie glücklich alles ab- gelaufen war. Aber zu seinem Bedauern erfuhr er vom Diener, daß die Engel ebenso wie auch die Teufel bereits nach dem nächsten Bestimmungsort der Werbetruppe abgereist seien, um dort die Ankunf der Truppe für den nächsten Tag bekanntzumachen. „Schade", sagte Karl, es war die erste Enttäuschung, die er in diesem Unter- nehmen erlebte, „ich hatte eine Bekannte unter den En- geln." „Sie werden sie in Oklahama wiedersehn", sagte der Diener, „nun aber kommen Sie, Sie sind der letzte." Er führte Karl an der hintern Seite des Podiums entlang, auf dem früher die Engel gestanden waren, jetzt waren dort nur noch die leeren Postamente. Karls Annahme aber, daß ohne die Musik der Engel mehr Stellensuchen- de kommen würden, erwies sich nicht als richtig, denn vor dem Podium standen jetzt überhaupt keine Erwach- senen mehr, nur paar Kinder kämpfen um eine lange weiße Feder, die wahrscheinlich aus einem Engelsflügel gefallen war. Ein Junge hielt sie in die Höhe, während die andern Kinder mit einer Hand seinen Kopf nieder- drücken wollten und mit der andern nach der Feder langten.
Karl zeigte auf die Kinder, der Diener aber sagte ohne hinzusehn: „Kommen Sie rascher, es hat sehr lange ge- dauert, ehe Sie aufgenommen wurden. Man hatte wohl Zweifel?" „Ich weiß nicht", sagte Karl erstaunt, er glaubte es aber nicht. Immer, selbst bei den klarsten Verhältnissen fand sich doch irgendjemand der seinem Mitmenschen Sorgen machen wollte. Aber vor dem freundlichen Anblick der großen Zuschauertribüne, zu der sie jetzt kamen, vergaß Karl bald an die Bemerkung des Dieners. Auf dieser Tribüne war
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