Der Verschollene
gewiß auch bei den Rennen verwendeter telephonischer Apparat, durch den der Führer offenbar alle notwendi- gen Angaben über die einzelnen Bewerber noch vor der Vorstellung erfuhr, denn er stellte an Karl zunächst gar keine Fragen, sondern sagte zu einem Herrn, der mit gekreuzten Beinen, die Hand am Kinn neben ihm lehn- te: „Negro, ein europäischer Mittelschüler." Und als sei damit der sich tief verneigende Karl für ihn erledigt sah er die Treppe hinunter, ob nicht wieder jemand käme. Aber da niemand kam, hörte er manchmal dem Ge- spräch, das der andere Herr mit Karl führte zu, blickte aber meistens über das Rennfeld hin und klopfe mit den Fingern auf das Geländer. Diese zarten und doch kräfi- gen, langen und schnell bewegten Finger lenkten zeit- weilig Karls Aufmerksamkeit auf sich trotzdem ihn der andere Herr genug in Anspruch nahm.
„Sie sind stellungslos gewesen?" fragte dieser Herr zunächst. Diese Frage sowie fast alle andern Fragen, die er stellte, waren sehr einfach, ganz unverfänglich und die Antworten wurden überdies nicht durch Zwischenfra- gen nachgeprüf, trotzdem aber wußte ihnen der Herr durch die Art wie er sie mit großen Augen aussprach, wie er ihre Wirkung mit vorgebeugtem Oberkörper be- obachtete, wie er die Antworten mit auf die Brust ge- senktem Kopfe aufnahm und hie und da laut wiederhol- te, eine besondere Bedeutung zu geben, die man zwar nicht verstand, deren Ahnung aber vorsichtig und befan- gen machte. Es kam öfers vor, daß es Karl drängte die gegebene Antwort zu widerrufen und durch eine andere, die vielleicht mehr Beifall finden würde, zu ersetzen, aber er hielt sich doch immer noch zurück, denn er wuß- te, einen wie schlechten Eindruck ein derartiges Schwan- ken machen mußte und wie überdies die Wirkung der Antworten eine meist unberechenbare war. Überdies aber schien ja seine Aufnahme schon entschieden zu sein, dieses Bewußtsein gab ihm Rückhalt.
Die Frage ob er stellungslos gewesen sei, beantwortete er mit einem einfachen „Ja". „Wo waren Sie zuletzt angestellt?" fragte dann der Herr. Karl wollte schon ant- worten, da hob der Herr den Zeigefinger und sagte noch einmal: „Zuletzt!" Karl hatte auch schon die erste Frage richtig verstanden, unwillkürlich schüttelte er die letzte Bemerkung als beirrend mit dem Kopfe ab und antwor- tete: „In einem Bureau." Das war noch die Wahrheit, würde aber der Herr eine nähere Auskunf über die Art des Bureaus verlangen, so mußte er lügen. Aber das tat der Herr nicht, sondern stellte die überaus leicht ganz wahrheitsgemäß zu beantwortende Frage: „Waren Sie dort zufrieden?" „Nein", rief Karl ihm fast in die Rede fallend. Bei einem Seitenblick bemerkte Karl, daß der Führer ein wenig lächelte, Karl bereute die unbedachte Art seiner letzten Antwort, aber es war zu verlockend gewesen, das Nein hinauszuschrein, denn während sei- ner ganzen letzten Dienstzeit hatte er nur den großen Wunsch gehabt, irgendein fremder Dienstgeber möge einmal eintreten und diese Frage an ihn richten. Seine Antwort konnte aber noch einen andern Nachteil brin- gen, denn der Herr konnte nun fragen, warum er nicht zufrieden gewesen sei. Statt dessen fragte er jedoch: „Zu was für einem Posten fühlen Sie sich geeignet?" Diese Frage enthielt möglicherweise wirklich eine Falle, denn wozu wurde sie gestellt, da Karl doch schon als Schau- spieler aufgenommen war; trotzdem er das aber erkann- te, konnte er sich dennoch nicht zu der Erklärung über- winden, er fühle sich für den Schauspielerberuf beson- ders geeignet. Er wich daher der Frage aus und sagte auf die Gefahr hin trotzig zu erscheinen: „Ich habe das Pla- kat in der Stadt gelesen und da dort stand, daß man jeden brauchen kann, habe ich mich gemeldet." „Das wissen wir", sagte der Herr, schwieg und zeigte dadurch daß er auf seiner frühern Frage beharre. „Ich bin als Schauspie- ler aufgenommen", sagte Karl zögernd, um den Herren die Schwierigkeit, in die ihn die letzte Frage gebracht hatte, begreiflich zu machen. „Das ist richtig", sagte der Herr und verstummte wieder. „Nun", sagte Karl und die ganze Hoffnung einen Posten gefunden zu haben, kam ins Wanken, „ich weiß nicht, ob ich zum Teater- spielen geeignet bin. Ich will mich aber anstrengen und alle Aufräge auszuführen suchen." Der Herr wandte sich dem Leiter zu, beide nickten, Karl schien richtig geantwortet zu haben, er faßte wieder Mut und erwarte- te aufgerichtet die nächste
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